Eat and Shit Art  

Bezugnehmend auf Ihre Reportage vom 21.8.: "Schleichendes Gift aus der Tube", worin ich Ihre Anfrage, ob Künstler besonders gefährlich leben, als "Schmarrn" abtat, was vielleicht dadurch zu entschuldigen ist, daß ich etwas ungehalten war, weil ich mich gerade mit der Herstellung eines Zwetschgendatschis beschäftigt hatte, erlauben Sie mir, daß ich diese meine Stellungnahme hiermit korrigiere.

Ich betrachtete die Angelegenheit nämlich vom hierzulande leider so weitvertretenen hinterwäldlerischen Standpunkt aus, anstatt mich zu informieren, wie weit die amerikanische Avantgarde inzwischen vorgestoßen ist. Und die stellt tatsächlich alles bisher Dagewesene weit in den Schatten und riskiert dafür allerdings Gesundheit und Leben.

"Eat and Shit Art" (so heißt die neue Kunstrichtung) besteht darin, daß die Künstler die Farbe essen; das Kunstprodukt ist dann das Blatt, mit dem sie sich den Hintern abwischen. Nachträgliche Retuschen mit dem Finger werden nur ganz sparsam angebracht. Der Vorzug von "Eat and Shit" liegt auf der Hand: Beeinflussung durch Traditionalismen und intellektuellen Ballast sind weitgehendst eliminierbar, lediglich die Auswahl des Farbmaterials und der Duktus beim Wischen unterliegen noch den Intentionen des Künstlers.

Um den Umfang ihres Oeuvres zu erweitern, greifen Künstler zu produktionsfördernden Mitteln in Form von Farben oder sonstigen Ingredienzien (zum Beispiel ungekochtem Holunderbeerensaft), welche Diarrhöe bewirken, und diese Praktiken haben im Zusammenhang mit dem Verzehr sonstiger giftiger Farbstoffe Siechtum und allmähliches Dahinscheiden der Künstler zur Folge, unter denen besonders Herbert Smith, David M. Overall und die Brunsbrill Brothers Fitzgerald und William hervorragen, wobei letzterer durch diffuseste Zartheit bei Verwendung von rosafarbenem Untergrundkolorit fasziniert.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die neuesten Moden
aus Amerika erst nach etwa zehn Jahren Verspätung und dann nur in ihrer Erscheinungsform als bundesdeutscher Abklatsch im Zeughaus zu besichtigen sind, habe ich einen befreundeten New Yorker Kunsthändler gebeten, mir ein Exemplar der neuen Kunstrichtung zu besorgen.

Er übersandte mir einen "Smith" zum Vorzugspreis von 253.760,- Dollar.
Ich verpfändete sofort meine sämtlichen Werke, nahm einen günstigen
15,3-Prozent-Kredit auf und gab das Kunstwerk in meinen Tresor, nicht ohne vorher ein Farbfoto anfertigen zu lassen, das ich beilege und Ihnen einschließlich des ausschließlichen Reproduktionsrechts zur Verfügung stelle.

Das Werk vereinigt in sich alle typischen Merkmale von "Eat and Shit": Handliches Format und Zurückhaltung in der Komposition
(eine Wohltat nach der aufdringlichen Gigantomanie der Fotorealisten), unbestimmbares Flair, dezente Farbigkeit bei vorherrschend erdigen Brauntönen und den typischen, quer durchgehenden, auch farbig betonten Duktusknick.

Ich hoffe, hiermit das Augsburger Kunstleben um eine Anregung bereichert zu haben und lege eventuell noch unerfahrenen avantgardistischen Kollegen ans Herz: Vorsicht mit Bleiweiß, Kadmiumfarben und Knollenblätterpilzen!