"Mensch sein - ein Versuch"
Pressestimmen
15.12.2006
Sprung über Schatten hinweg
Neue, subtil gesellschaftskritische Bilder des Surrealisten Wolfgang Lettl im IHK-Foyer
Von unserem Redakteur
Alois Knoller
Die Bilderwelt von Wolfgang Lettl wird leerer. Im Extremfall verbleibt nur die Silhouette
einer menschlichen Gestalt im Boden,
unter dem das schwarze Nichts gähnt, und
ein Durchgang nach hinten in einen rätselhaften, nicht einseh- baren Raum. "Mensch
sein - ein Versuch" heißt die neue Ausstellung des bald 87-jährigen Surrealisten, die
heute Abend im Foyer der Industrie- und
Handelskammer eröffnet wird.
"Ist Ratlosigkeit der Zustand, an den wir
uns allmählich immer mehr gewöhnen müssen", so fragt der Künstler selbst. Lettl hat im
ablaufenden Jahr Bilder geschaffen, die keine
Mitte haben. Das Motiv "Die Brüder" belässt
es bei einer Mauer, die diagonal auf ein großes
weißes Pferd im Hintergrund zuläuft. Ist es lebendig oder aus Holz geschnitzt? Und was haben die
beiden abgewandten Männer hinter
der Mauer mit den davor durcheinander aufgehäuften Buchstaben zu tun?
Ein Bild heißt ausdrücklich "Verlust der
Mitte": Mit karger Mondsichel an der Stirnwand, der Raum davor gähnt unmöbliert, seitlich
führt eine Treppe ins Verlorene. Auch die
Menschen drücken sich an den Rand und aus
diesem Bild hinaus. Sollte „Der letzte Akt", so
ein weiterer Titel, hier gespielt werden? Ein
geräumiger Arkadenhof öffnet sich im großen
Format, darin Menschen in entspannter Haltung - plaudernd, Zeitung lesend, einander
grüßend. Niemand blickt beunruhigt nach
oben, wo sich eine dunkle Gestalt bedrohlich
herabneigt und eine skurrile Gewitterwolke
aufzieht mit Blitzen, Tod und Fratzen.
Doch Wolfgang Lettl ist kein Pessimist. Auf
Bildern zu beiden Seiten dieser Bühne der Banalitäten hat der Künstler heitere Motive gehängt.
Da hüpfen und purzeln drei Esel am
Turm durch die Lüfte im Zustand der Schwerelosigkeit und stehen im wohltuenden Gegensatz
zu statischen Hohlfiguren. Oder der
Turner im Handstand rückt die neugierigen
fliegenden Fische wenigstens in seiner Perspektive wieder dorthin, wo sie hingehören,
nämlich nach unten. Im "Jungfernflug" dreht
der Surrealist kurzerhand die Windmühle um,
sodass sie zum witzigen Luftschiff wird mit einer anmutigen Passagierin - oder voller aufgeregter
Störche im anhebenden Sturm.
Sozialpolitische Anspielungen mag man in
zwei großen Gemälden Lettls erkennen. "Die
Kapriolen des Fürsten" bestehen aus einem
ausgreifend springenden Pferd mit dem Torso
eines Geharnischten; er setzt über eine Gasse
hinweg, worin in Schächten abgesenkt Menschen ihrer Arbeit nachgehen. Oben und unten haben
nichts miteinander zu tun, die
Mächtigen können sich buchstäblich große
Sprünge leisten - über die im Schatten. Moderne Sklaven zeigt das Bild "Die Basis", geduckt unter der Last
von Pyramiden. Diese
nackten Figuren im Lendenschurz laufen ziellos durch die Gegend, sie sind nur bedrückt.
In der Wirtschaftskammer können solche
Bilder intensive Diskussionen auslösen, zumal sie keine platten Anklagen formulieren,
sondern Zustände einfühlend beschreiben.
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