Süddeutsche Zeitung Freitag 15. Januar 2010
Einsamer Kämpfer
zum 90. Geburtstag des Malers Wolfgang Lettl
widmet Augsburg dem bayerischen Surrealisten eine Ausstellung von Sabine Buchwald
Einsamkeit ist auch in der Umgebung von vielen Menschen möglich. Wolfgang Lettl hat dieses Bild "Der letzte Akt" genannt. Es entstand 2006, zwei Jahre vor seinem Tod. Will der Künstler uns sagen: Das Leben ist eine Bühne, die ohne einen Regisseur nicht auskommt?
Augsburg - Treppen, die ins Nichts führen; Engel, die vom Himmel stürzen; Gegenstände,
die der Schwerkraft entkommen und wie feengleiche Wesen in den
Lüften schweben. Ihnen allen begegnet
man beim Blättern im Katalog zu der großen Ausstellung des Malers Wolfgang
Lettl, die von diesem Freitag an im Augsburger Zeughaus zu sehen ist. Lettl gilt
als Surrealist, dennoch stellte er klar,
dass er es eigentlich für „überflüssig"
hält, ihn in eine Schublade zu stecken.
Er
sagt: „Surrealismus lässt sich zwar übersetzen als das, was über der Wirklichkeit ist, was das aber
für eine Kunstrichtung besagen soll, da kann sich jeder denken, was er will." Obwohl Wolfgang
Lettl auch Landschafts-bilder unter der
Sonne Apuliens mit impressionistischen
Strich gemalt hat, ist er vor allem als Surrealist bekannt. Gehört er doch zu den
wenigen Deutschen, die dem großen surrealistischen Künstler Max Ernst nachfolgten.
Er gilt gar als der einzig bedeutende, der aus Bayern kommt. 1919 wurde Wolfgang Lettl in Augsburg geboren,
vor mehr als einem Jahr ist er dort friedlich eingeschlafen.
Am 18. Dezember 2009 wäre Lettl
90 Jahre alt geworden. Anlass für die
Stadt, in der er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat, dem Maler eine Gedenkausstellung zu widmen.
Es soll ein
Wiedersehen werden für all die-jenigen,
die Lettl seit Jahren verehren. Die Schau
mit dem Titel „Deinen Schatten vergesse
ich, dich aber nicht" könnte aber auch
neue, jüngere Freunde für die phantastische Welt des Augsburgers gewinnen.
Lettls Bilder, die inspiriert sind von
der Symbolik einer Kunstrichtung, die
vor so vielen Jahrzehnten in französischen Kreisen entstanden ist, wirken erstaunlich passend in diese
von schlechten Nachrichten geprägten Tage. Seine
Figuren sind einsame Kämpfer, gefangen in ihren Ängsten, bedroht von Zwängen und Mächten.
Freilich haben wir heute nicht die
Trümmer eines Weltkrieges von unserer
Seele zu räumen. In den 1920er Jahren
hatten damit wachsame, junge Künstler
wie Rene Magritte oder Andre Breton zu
kämpfen, die ihre Ideen mit den Erkenntnissen etwa von Freud über das Unbewusste anreicherten.
Dennoch schleicht
sich die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und des erreichten Wohlstands, das Unwohlsein
über die negativen Ver- änderungen der Natur in die Köpfe der Menschen. Das dürfte bei manchem
weniger Kampfeslust als Befangenheit erzeugen - ein immer wiederkehrendes Motiv Wolfgang Lettls.
Eines seiner
stärksten Bilder zeigt einen Mann, auf einem Hocker sitzend, den Rücken zum Betrachter gekehrt.
Er schaut mit hängenden Schultern auf einen Vogelkäfig mit
goldenen Stäben, in der eine weiße Taube die Flügel schwingt und doch ihrem
Gefängnis nicht entfliehen kann. Der Vogel, eines der Hauptsymbole im Surrealismus,
das häufig für das Alter Ego des Malers steht, und auch der Mann sind eingesperrt zwischen
fünf schiefe Wände. Diese klapprige Schachtel scheint zwischen
leeren Häusern zu schweben, deren dunkle Fenster wie hohle Augen aus dem Mauerwerk glotzen.
„Alles ok!" hat Lettl das
Bild überschrieben. Nein, nichts ist hier
in Ordnung. Einige Mauern reflektieren
zwar ein fernes, warmes Licht, Mensch
wie Vogel aber wird es nicht zuteil.
Lettl hat das Bild 2005 gemalt. Damals war er schon von Krankheit gezeichnet und körperlich geschwächt.
Was ihm
blieb, war die Kraft seines Ausdruckswillens. „Wenn ich schon nicht mehr in die
Welt hinaus kann, dann muss ich mir
eben in meiner Phantasie, in meinen Bildern die Welt zu mir holen", hat er in seinen letzten Jahren gesagt
und damit die
Frage nach seiner ungebrochenen Lust
am Malen beantwortet. Sein Sohn Florian hat diesen Satz seinem Katalogtext vorangestellt.
Als Nachrichtensoldat war Lettl von
1940 an für drei Jahre in Paris stationiert. Für eine zivile Ausbildung hat ihm
der Krieg nach dem Abitur 1938 keine
Zeit gelassen. Als Zehnjähriger hatten
ihn die mittelalterlichen Altarbilder in
der Alten Pinakothek fasziniert, fast eingeschüchtert - womöglich aber geprägt.
In der französischen Hauptstadt nutzte
er seine Zeit für Besuche in Museen und
Galerien und schließlich für erste eigene
Aquarelle. Er blieb ein Leben lang Autodidakt, der die Herausforderung suchte:
„Später habe ich gelernt, dass man in der
Kunst immer das tun muss, was man eigentlich gar nicht können konnte, sonst
wird es langweilig", schrieb er. Kunst sei
ein Abenteuer. Lettl arbeitete als Illustrator, nahm Aufträge an für farbenfrohe
Fenster und Mosaiken. Anfang der
1990er Jahre begann er, großformatige
Skulpturen zu schaffen. Wieder sind es
scheinbar einsame Menschen, gebeugt
von der Last des Lebens, verfangen in
Träumen.
Anmerkung der Redaktion: Die Skulpturen schuf sein Sohn Florian, sie steht momentan auf dem Platz vor der Ausstellungshalle
Gedenkausstellung für Wolfgang Lettl
im Zeughaus Augsburg, Zeugplatz 4; Eröffnung Freitag 18 Uhr in der Toskanischen Säulenhalle; bis 28. Februar, Di
10-21 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr, Eintritt frei
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