"Lettl - verknüpft - Dahlmanns"

Pressestimmen

Süddeutsche Zeitung 20.10.2015

Ausstellung Vergessene Traumlandschaften

Die Bilder des 2008 gestorbenen surrealen Malers Wolfgang Lettl werden in einer Ausstellung in Augsburg verknüpft mit Teppichen von Jürgen Dahlmanns



Flüchten die Menschen vor dem Regen oder saugt sie eine magische Kraft in das schwarze Loch, die sie unfähig macht, ans andere Ende zu blicken? Denn Wolfgang Lettls "Röhre"(1988), hier verknüpft mit Jürgen Dahlmanns Teppich "No Honey, Redmix", verlassen ausschließlich schwarze Käfer.

Von Sabine Reithmaier

Schon die Ausgangssituation mutet leicht surreal an. Ein Möbelhaus in der Augsburger Innenstadt, das leer steht. 650 Quadratmeter Fläche, riesige Schaufenster. Die Passanten starren herein. Blicken auf Gemälde mit kopflosen Menschen, abstürzenden Engeln, roten Ochsen oder einen Löwen, den Frauenschuhe umringen. Mit jedem Werk korrespondiert - entweder inhaltlich oder farblich - ein dahinter hängender Teppich, der den Bildraum grandios erweitert. Wüsste man nicht, dass der surrealistische Maler Wolfgang Lettl bereits 2008 gestorben ist, wäre man sich sicher, dass er sich diese fantastischen Verknüpfungen mit Teppichdesigner Jürgen Dahlmanns gemeinsam ausgedacht hat.

Sohn und Lettl-Förderverein suchen nach einem Domizil für das Werk des Künstlers.

Die Beziehungen erdacht und entwickelt hat aber Florian Lettl, der Sohn des Malers. Er verwaltet das künstlerische Erbe seines Vaters, rund 600 Bilder. Die Chance, dessen Werk in einem ganz ungewohnten Zusammenhang zu stellen, ließ er sich nicht entgehen.

Wolfgang Lettl hat die meiste Zeit seines Lebens in Augsburg gemalt. 20 Jahre lang sah es auch so aus, als würde sich sein Wunsch, die Gemälde dauerhaft in der Stadt zu zeigen, erfüllen: Sein Werk hatte im Haus der Industrie- und Handelskammer eine Bleibe gefunden. Doch 2013 musste das Lettl-Atrium schließen, da die IHK ihre Räume selbst nutzen wollte. Seither suchen sein Sohn und der Lettl-Förderverein nach einem neuen Domizil für das Werk. "Einer Bleibe, keinem Museum", sagt Bernd Nill, der Vorsitzende des Lettl-Fördervereins.

Die Suche ist schwierig. Zum einen, weil die Kunst der deutschen Surrealisten nur langsam wiederentdeckt wird - auch Edgar Ende musste lang auf seine Ausstellungen warten. Zum anderen - und das ist der gewichtigere Punkt - weil Lettl kaum überregional bekannt ist. Er verschmähte es zeitlebens, um den Kunstmarkt zu buhlen, verkaufte kaum Bilder, hielt es für ein Missverständnis, wenn nicht gar ein Sakrileg, Kunst als Geldanlage zu missbrauchen. Die Stadt Augsburg jedenfalls zeigt bislang kein großes Interesse an ihrem Surrealisten.

Als Maler war der 1919 geborene Lettl ein Autodidakt. In Paris, wo er von 1940 bis 1943 als Nachrichtensoldat diente, malte er seine ersten Aquarelle, besuchte Museen, entdeckte den Surrealismus für sich. Zurück in Augsburg verdiente er sein Geld als Bau- und Lagerarbeiter, schaffte es aber bald, sich als freischaffender Künstler einen Namen zu machen, schuf Wandmalereien, Mosaiken und Farbfenster. Dabei entwickelte er kontinuierlich seinen Stil, verbildlichte seine Träume mit einem ausgeprägten Sinn fürs Detail. Dass er sich dabei quer durch die Kunstgeschichte zitiert, beschädigt seine Eigenständigkeit nicht.

In der Augsburger Ausstellung sind Gemälde aus verschiedenen Lebensphasen Wolfgang Lettls vertreten, 27 sind mit Teppichen "verknüpft". Im Gegensatz zu den Bildern sind die in Indien und Nepal geknüpften "Rugs" aber zu kaufen. Jürgen Dahlmanns mehrmals ausgezeichnete Designerstücke wirken tatsächlich selbst wie Gemälde. Stilistisch hat er sich nicht festgelegt, alles ist möglich, abstrakte Streifen, monochrome Farbflächen, fauchende asiatische Drachen, Liniengeflechte, Schachbrettmuster oder das Dürer-Gemälde "Melancholia".



Es ist interessant, wie sehr die Teppiche die Interpretation der Gemälde beeinflussen. "Tiffany-Ville" zum Beispiel, eine menschenleere Häuserlandschaft, die Fenster schwarze Löcher, darüber regnet es Veilchensträuße. Dahinter ein roter Teppich mit riesigen Blüten. Sofort verliert das Gemälde seine eigentlich ziemlich depressive Wirkung.

"Ich will schöne Bilder malen", sagte Wolfgang Lettl über sich. "Weil sich Schönheit nicht erzwingen lässt, habe ich immer versucht, keine dummen Bilder zu malen!" Wäre schön, wenn es gelingen würde, bis zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2019 eine neue Bleibe für seine Bilder zu finden.