Der Hut des Herrn Magritte

Jeder Maler kommt von irgendwo her.

Meine Jugend fiel in die Zeit, als Deutschland gegenüber dem Rest der Welt mit Brettern vernagelt war. Ich hatte zwar Spaß am Malen, aber keine Orientierung, nur ein bißchen Impressionismus hatte ich von der Schule mitbekommen. Nach dem Krieg gab es in Augsburg den Surrealisten Karl Kunz, der mich und andere Heimkehrer mit seinen Bildern und Lehrmeinungen zunächst begeistern konnte. Seine Theorie aber (ich kann sie nur sagen wie sie mir im Gedächtnis geblieben ist), daß Kunst erlernbar sei und der Künstler ab 40 seine Mittel und Methoden so beherrschen müsse, daß ihre Wirkung voll berechenbar sei und die Stelle der erlahmenden Phantasie und Spontaneität einnehmen könnte.
Das wollte mir nicht eingehen.

Inzwischen war das Kunstleben wieder offen für alle Meinungen. An dem Sammelsurium, das alljährlich die "Große Münchener" bot, interessierten mich fast nur die Bilder von Edgar Ende, d.h. meist immer nur eines, denn von den drei Bildern die er jeweils zeigte, gefiel mir nur immer eines sehr gut. Ich besuchte ihn einmal in seiner Wohnung und fragte ihn, wie man es anstellen müsse, um in der "Großen Münchner" ausstellen zu dürfen. "Bilder zur Jury einreichen, da wird das Richtige schon ausgesucht." - Das war aber nicht mein Eindruck.
Etwas später wurde ich dann immer ausgestellt, weil ein Freund von mir einen Freund in der Jury hatte. - Von Edgar Ende als Persönlichkeit war ich etwas enttäuscht, das kommt daher, weil man gerne geneigt ist den Künstler so zu sehen wie man ihn sich gerne vorstellt, wenn man nur seine Bilder kennt, vor denen ich nach wie vor große Hochachtung habe.

Bei Dali ist das anders.
Den habe ich mal, es mag wohl 40 Jahre her sein, in seinem Haus in Figueras besucht. Er war zunächst erfreut, daß ein Besucher aus Deutschland kam, bald aber enttäuscht, daß ich nur ein Maler war, kein Journalist oder sonst wichtiger Mensch. Ich wollte ja eigentlich nur sehen, ob er spinnt oder nicht oder inwiefern. Seinen berühmten Bart hatte er nicht aufgeklebt. Nein direkt gesponnen hat er nicht, aber aus Propagandagründen sehr geschickt und mit großem Erfolg bei den Medien den Hanswursten gespielt. Man ist geneigt zu sagen: Schade, daß er meinte, das nötig zu haben.
Aber vielleicht gab ihm das in seiner inneren Unsicherheit einigen Halt, die einzige Möglichkeit er selber zu sein.

Der Hut des Herrn Magritte

René Magritte habe ich nie gesehen. Vielleicht täusche ich mich, aber ich hatte immer den Eindruck, er müßte zum Lachen in den Keller gehen. Litt er an einer großen Einsamkeit oder innerer Kälte? Ich bin auch nicht gerade der Kontaktfreudigste, aber in seinem Wesen und auch in seinen Bildern sehe ich etwas Abweisendes, oder wenigstens mir Fremdes.
Um deutlicher zu sein: Ich spüre die vornehme, tragische Hilflosigkeit seines Atheismus. Er hat vielleicht (und ich sage "vielleicht" nur, weil ich mir ein eindeutiges Urteil nicht anmaßen will) das Beste geleistet, was dem damaligen "Klassischem Surrealismus" erreichbar war.
Seine Entgleisungen, ich denke vor allem (aber nicht nur) an seine "impressionistische Phase", zeigt die Tragik dessen, der nie begangene Wege geht und sich dabei notwendigerweise auch verirrt.

Künstler haben aber ein Recht darauf, nach ihren besten Werken beurteilt zu werden.

Wenn Surrealismus Mode wird, und das passiert immer wieder einmal, dann wird er stinklangweilig.
Da geht es nach dem Rezept: Man nehme was nicht zusammenpaßt und male es fein tüftelig in "altmeisterlicher Manier" zusammen. Und wem nichts einfällt der schaut bei anderen nach und sucht eine Nische, wo er sich niederlassen kann. - Aber da springt kein Funke über, es entsteht kein Kontakt zu anderen Wirklichkeiten.
Dieser Kontakt zu anderen Wirklichkeiten gehörte zu allen Zeiten zum Wesen des Kunstwerkes, er entzieht sich dem bewußten Willen und der Kontrolle des Künstlers. Wenn er fehlt bleibt nur platter Fotorealismus oder gar nichts mehr.

Wer malen will und es logischerweise zunächst noch nicht kann, ist von Vorbildern fasziniert und wird sie nachzuahmen suchen. Er sollte sich aber nicht mit dem jeweiligen Vorbild identifizieren sondern bald andere Wege gehen, denn jeder hat sein eigenes Innenleben, sein eigenes Jenseits, und nur das gehört zu ihm.
Kein Surrealist kann von einem anderen abgucken, was er malt wird notwendigerweise etwas bisher Unbekanntes, auch Unverständliches.
Ob das dann "Surrealismus" heißen soll oder nicht, das ist belanglos.

Und übrigens: Wenn ein Maler, wie ich z.B., über Kunst und Kollegen etwas sagt, hat er immer recht und er ist auf dem rechten Wege.
Bildet er sich wenigstens ein.

Sie fragen mich, inwieweit René Magritte und Edgar Ende mich in meinem Schaffen beeinflußt haben. Nun, ich habe mir ihre Bilder angesehen und darüber nachgedacht. Einige wenige Male habe ich bewußt Motive von ihnen zitiert oder weiter gesponnen. Sowas habe ich auch mit Michelangelo und Tizian gemacht, aus Verehrung sozusagen. Und vielleicht ist mir einiges aus Faulheit oder aus dem Unterbewußten hineingerutscht.

Aber nicht jeder Apfel ist irgendwo geklaut.


09.09.2001
Freundliche Grüße
Wolfgang Lettl