Pintepios                                                               

oder


Das letzte Geheimnis Griechenlands

Erzählung von Wolfgang Lettl




Irgendwie war ich dazugekommen, mir einen Vortrag anzuhören...

Die Person des Vortragenden, eines sehr bekannten Arztes, läßt mich mit Sicherheit vermuten, daß der Vortrag sehr interessant war, aber leider nur vermuten, denn ich muß gestehen, daß mir meine Gedanken schon gleich am Anfang abschweiften und nicht mehr zurückzuholen waren. Denn das Vortragsthema hieß, oder so ungefähr: "Asklepios, der Gott der Ärzte".

Die Ärzte haben einen Gott, dachte ich mir, das ist sicher richtig und gut so, sollen sie ihn haben, mitsamt der herumgewickelten Schlange, aber was ist mit den Kunstmalern? Haben die denn keinen Gott und warum nicht? Oder hat man ihn nur noch nicht entdeckt, vielleicht gar absichtlich vergessen und totgeschwiegen, aus Mißgunst etwa? Während ich das alles so vor mich hindachte, glitten die Worte sanft an meinen Ohren vorbei, bis mich plötzlich einsetzendes Gelächter und Beifallsgeklatsche aufschreckte; offensichtlich war eine Pointe besonders gut angekommen.

Mich aber ging der Vortrag nichts mehr an, und ich benutzte die Gelegenheit, um ohne aufzufallen den Saal zu verlassen, nach Hause zu eilen, mir meinen alten Diercke-Schulatlas zu greifen und Griechenland aufzuschlagen.

Es sah schon überall sehr erforscht aus, besonders um Athen und den Olymp herum, nur die Gegend halboben-links, westlich des Thymphrestos zum Acheloos hin, machte einen halbwegs unberührten Eindruck; am ehesten wäre hier noch etwas zu entdecken.

        Der Pilger

        Der Pilger, 1984

Kurz entschlossen, wie ich zu sein pflege, und aus der Erfahrung heraus, mich lieber auf mein Glück als auf meinen Verstand zu verlassen, brach ich also dorthin auf. Entsprechend der Abgeschiedenheit der Gegend war die Anreise auf mancherlei Weise beschwerlich; da solcherlei Beschwernisse aber ohnehin unser ganzes Leben begleiten, darf ich sie als bekannt voraussetzen und will mich hier nicht länger dabei aufhalten.

Der Platz, den ich mir im Atlas ausgesucht hatte, war eine unwegsame, nach Osten leicht ansteigende, steinige und baumlose zerklüftete Hügellandschaft; nur ein paar Ginsterbüsche, die vertrockneten Stengel von Affodill und des giftigen Steckenkrauts und eine mir nicht bekannte, aber besonders unangenehme Distelart hindern mich daran, sie als Wüste zu bezeichnen. Es wäre in dieser unwirtlichen Gegend eigentlich kaum eine Menschenseele zu vermuten gewesen, höchstens ein paar Schafe und Ziegen, aber ganz im Gegenteil:

Überall standen und hockten junge Menschen herum, und zunächst schien mir, es seien Alternative beim biologischen Sammeln kommunikativen Salats, oder Umweltschützer, die den Bau eines Atomkraftwerks oder die Stationierung von Raketen verhindern wollen, aber beim näheren Hinsehen merkte ich, daß sie etwas taten:

        Triumpfbogenträger

        Triumpfbogenträger, 1983

Sie hoben Steine auf, betrachteten sie, fast liebevoll, möchte ich sagen, wogen und vermaßen sie, gaben sie in verschiedene Gefäße mit verschiedenen Flüssigkeiten, fotografierten sie, numerierten sie schließlich und legten sie wieder sorgfältig an ihren vorigen Platz zurück. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen tippten sie in kleine Computerchen hinein.

Ich fragte eine Gruppe, es waren französische Studenten, nach dem Sinn und Zweck ihres Tuns, sie verwiesen mich an den Professor und der war gerne bereit, mir alles zu erklären: "Unsere Tätigkeit soll mit Hilfe der modernsten Technik Licht in die bislang noch dunklen Stellen der Antike bringen. Wir nehmen alle Steine Griechenlands auf und speichern die gewonnenen Daten im Computersystem der Archäologischen Weltzentrale in Baltimore.

Ich werde Ihnen gleich mal zeigen, wie das funktioniert. Nehmen wir als Demonstrationsbeispiel gleich mal dies hier." Er hob ein braunglänzendes Etwas auf und machte die oben beschriebenen Prozeduren mit dem Ding. Nach etwa einer Minute antwortete der Zentralcomputer via Satellit: "Teilchen einer Coca-Cola-Flasche, 20. Jahrhundert. Zur Ermittlung des Herstellungsjahres und der Fabrikationsstätte Untersuchung D 702 bzw. AC 939 erforderlich."

Ich tat so, als fände ich das furchtbar interessant und bestaunenswert und erkundigte mich über alle möglichen Details, nur um schließlich mein Anliegen vorzubringen, ob der Herr Professor vielleicht schon einmal von einem Gott der Kunstmaler gehört habe, ich sei nämlich auf der Suche nach ihm.

Monsieur le Professeur bekam zunächst einen fragend ratlosen, dann mitleidigen Gesichtsausdruck, der, dezent zwar, keinen Zweifel an der Überlegenheit der französischen Intelligenz in Sachen Kultur aufkommen ließ: "Nein, davon ist mir nichts bekannt, und so weit wir schon geforscht haben, deutet keine Spur auf einen Kunstmalergott" sagte er, ohne daß seiner Stimme eine Spur von Herablassung anzumerken gewesen wäre, "aber da oben", er zeigte in Richtung Thymphrestos, "ist noch alles unerforscht."

Ich bedankte mich und ging weglos bergan. Mühsam, stundenlang. Als sich der Tag schon zu neigen begann, näherte sich mir ein Zypressenhain und daraus ertönte zu meinem Erstaunen Musik, klassische Musik, genauer gesagt, die Symphonie Nr. 73 D-Dur "la Chasse" von Joseph Haydn. Neugier beflügelte meine schon müden Schritte, das Wäldchen lichtete sich und gab den Blick auf eine Arena frei. Soeben ging die Symphonie mit verhaltenem Ausklang zu Ende, und unter emphatischem Beifall des Publikums nahmen die Musiker ihre Instrumente unter den Arm und zogen sich zurück. In der folgenden Pause wurde neben dem Podium ein Scheiterhaufen errichtet, und bald erschienen wieder Musiker, doch gaben sie diesmal rhythmischen Lärm der Art von sich, von dem sich die Blüte unserer Jugend so gern besoffen machen läßt und um dessen Verbreitung sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten so sehr verdient machen. Mir schmerzten die Ohren und mein Magen begehrte auf, aber die Neugier ließ mich ausharren.

Als der Lärm die Grenze zum absolut Unerträglichen zu erreichen sich anschickte, entzündete jemand den Scheiterhaufen, und unter frenetischem Geschrei und Gepfeife der Zuschauer warfen die Musikanten ihre Instrumente ins Feuer.

        Minuten

        Das Ende der Streichquartette, 1977

Zunächst konnte ich mir keinen Reim auf das alles machen, aber dann kam mir die Erleuchtung, daß es sich hier um einen religiösen Ritus, um eine Opferung handeln müsse, weil man doch etwas so Wertvolles nicht einfach kaputt macht, wenn nicht ein tieferer Sinn dahintersteckt. Ich fragte also in allen mir mehr oder weniger zur Verfügung stehenden Sprachen radebrechend einen der Umstehenden, was das Verbrennen der Instrumente bedeute. "Die G. d. M. will das", war die Antwort.

Jetzt arbeitete mein Gehirn ganz ungewohnt schnell, und folglich ging mir auch gleich ein Licht auf: "Die G. d. M.", das kann in Zusammenhang mit dieser Opferhandlung doch nur "Göttin der Musik" heißen, und wo der Kult der Göttin der Musik noch so lebendig ist, weiß man vielleicht, ja sogar sicher auch noch etwas vom Gott der Malerei.

Ich sah mich kurz vor meinem Ziel und nur, um meiner Sicherheit den Triumph der Bestätigung nicht vorzuenthalten, fragte ich unter freudig erregtem Herzklopfen: "Wer ist denn die G. d. M.?" "Die Gewerkschaft der Musikinstrumentenhersteller" war die Antwort. "Seit dem EG-Beitritt werden wir so sehr mit den Instrumenten aus der BRD und Italien überschwemmt, daß unsere griechischen Hersteller nur noch existieren können, wenn nach jedem Konzert die Instrumente vernichtet werden." "Aber es ist doch schade", wollte ich einwerfen. "Nein" entgegnete mein Gesprächspartner, "ihre guten Instrumente verbrennen sie natürlich nicht, sondern eigens für diesen Zweck billig hergestellte, und man hat dann so eine Art Volksbelustigung daraus gemacht."

Meine Enttäuschung äber diese Auskunft war so tief und mein ganzer Mut war dahin, dazu kam die Müdigkeit von den Strapazen des Tages, und so schlich ich ziellos von dannen; inzwischen war die Nacht hereingebrochen und mit ihr die Stille. Nach alter biblischer Tradition suchte ich mir einen Stein als Kopfkissen, legte mein Haupt darauf und mich zur Ruhe. Als ich gerade hinüberdämmern wollte ins Land der glücklichen Träume, das sich gerne dem erschließt, der den Tag mit viel Mühe und wenig Erfolg hinter sich gebracht hat, hörte ich, zunächst etwas zaghaft, dann immer freier und jubelnder den allersüßesten Gesang, den je eine Nachtigall von sich gab. Ich schaltete noch mein Tonbandgerät ein, das ich eigentlich nicht für Nachtigallengesang mitgenommen hatte, aber den Gott der Maler zu finden hatte ich keine Hoffnung mehr und schlief vollends ein.

Spät am Vormittag weckte mich die Sonne und ich sah mich mitten unter den Archäologiestudenten, die inzwischen schon bis hierher vorgedrungen waren. Ich war deprimiert, weil meine Expedition offensichtlich keinen Sinn mehr hatte, packte meine Siebensachen zusammen und trat den Rückweg an; alle Steine, soweit ich sehen konnte, waren numeriert. Griechenland barg kein Geheimnis mehr.

Immer, wenn ich deprimiert bin, gehe ich gesenkten Blicks. Unversehens fiel dieser, ich konnte es kaum fassen, auf einen runden, schwärzlichen Stein, der keine Nummer trug, den sie offensichtlich übersehen hatten. Nachdem ich mich versichert hatte, daß ich unbeobachtet war, nahm ich ihn schnell zu mir als letztes Überbleibsel und Erinnerung an ein Griechenland, das einmal, herrlich unerforscht, der Götter Wohnung sein durfte.

        

Da er ohne Nummer war, hatte ich keine Schwierigkeit, den Stein über die Grenze zu bringen. Er hat bei mit zu Hause in einer Vitrine seinen Ehrenplatz erhalten; besonders, wenn mir aus irgendeinem Grunde schwer ums Herz werden will, nehme ich ihn heraus und wiege ihn in der Hand; dann geht etwas von ihm auf mich über, und während der Stein sein Gewicht zu verlieren scheint, weiß ich mich eins mit dem Kosmos und den Uranfängen unserer Kultur verbunden.

Das Tonband mit der Nachtigall hatte ich ganz vergessen.

Als ich es einmal zwecks anderer Verwendung löschen wollte, hörte ich es doch vorher ab. Wie erstaunt war ich, als sich unter den Vogelgesang bald die Stimme eines offenbar sehr alten Mannes mischte. Sein in feierlichen Hexametern vorgetragener Singsang erweckte unbedingt den Eindruck einer wichtigen Mitteilung, seine Sprache jedoch klang mir völlig unbekannt.

Wir wissen alle, wie sehr der Name den Charakter eines Menschen prägen und sein Schicksal beeinflussen kann, daß manchen schon sein unmöglicher Name zur Bedeutungslosigkeit verurteilt, während ein anderer allein durch den Klang seines Namens sich zu Großem berufen weiß. Der kleine Napoleon Bonaparte mußte kraft seines Namens ganz Europa umkrempeln, andererseits wäre uns wohl mit "Heil Schickelgruber" der Gröfaz erspart geblieben.

(Hitlers Vater, der unehelich geborene Alois Schickelgruber, erhielt erst vierzigjährig durch eine fragwürdige Legitimierung den Namen Hitler. "Gröfaz" war das inoffizielle Kürzel für "Größter Feldherr aller Zeiten")

Viele rechtzeitig von ihrer überragenden Bedeutung überzeugte Künstler und auch ein paar Politiker haben das begriffen und sich gleich zu Beginn ihrer erfolgreichen Laufbahn einen zu ihrer Größe passenden Künstlernamen gewählt. Ein Fall ist mir bekannt, wo sogar schon der Vater das richtige Gespür bei der Namensgebung seines Sprößlings hatte, und so konnte aus Wolfgang Amadeus nur Mozart werden.

Auch bei meinem Freund Hieronymus stimmen Name, Beruf und Charakter sozusagen fugenlos überein. Er ist Professor für Kirchengeschichte und im Vatikan wegen seiner Kenntnisse und Fähigkeiten oft gefragt. Am liebsten sitzt er aber in seinem Gehäuse und versenkt sich in Gott und alte Schriften, während sein inzwischen schon betagter Löwe warme Behaglichkeit vor sich hinschnurrt.

        Kirche und Welt

        Kirche und Welt, 1989

Hieronymus ist keiner von den Freunden, mit denen man Pferde stehlen oder durch dick und dünn gehen kann; Pferde stiehlt er grundsätzlich nicht, das widerspricht seiner Auffassung vom Priesterberuf, und was jeweils als "dick" oder "dünn" zu gelten hätte, das wäre auf Grund unserer verschiedenen Veranlagungen und Denkweisen nie auf einen Nenner zu bringen. Aber auf Hieronymus ist Verlaß. Wenn er mir helfen kann, hilft er, selbst in den schwierigsten Situationen. So hilft er mir auch jetzt, den beinahe verlorengegangenen Faden meiner Erzählung wieder aufzunehmen, denn mein Tonband vom Archeloos mit der unmöglichen Sprache, das war ein Fall für Hieronymus.

Er zeigte sich gerne bereit, die Aufgabe reizte ihn, aber leicht war sie nicht. Mein Tonband sprach in einer Art frühdorischen Dialekts, der bisher völlig unbekannt war. Nur der Tatsache, daß Hieronymus eine einmal übernommene Aufgabe allen Schwierigkeiten zum Trotz grundsätzlich immer zu Ende führt, ist es zu verdanken, daß er diesen sonderbaren Dialekt schließlich in den Griff bekam.

Er übergab mir das Manuskript seiner Übersetzung mit der Erläuterung, daß im Wesentlichen alles so stimme, allerdings ergebe sich noch kein rechter Sinn, weil sich etliche Wörter verschieden übersetzen ließen, außerdem noch nicht ganz klar sei, was Eigennamen seien, weil sich diese beim gesprochenen Text nicht durch Großschreibung hervorheben, zudem sei die Sprache sehr blumig, "du kennst das ja von der rosenfingrigen Morgenröte her", womit er auf unsere gemeinsame Schulbank anspielte.

Er sprach dann weiter, und ich bemühte mich, so dreinzuschauen, als ob ich seinen Ausführungen folgen könnte, bekam dabei aber offensichtlich einen so angestrengten Gesichtsausdruck, daß er es merkte und sich wieder auf meine geistige Ebene herabbemühte, und er beschloß seine Ausführungen mit der Ankündigung, daß er demnächst in einer sehr wichtigen Angelegenheit nach Rom reisen müsse. "vielleicht kommst du inzwischen hinter den Sinn des Textes", im übrigen wolle er nach seiner Rückkehr gerne weiterhelfen und er zweifle nicht daran, daß mein Tonband äußerst interessant und wichtig für die Beseitigung der letzten Unklarheiten über die Antike sei.

Ich knobelte sehr lange und vergeblich an dem Text herum, bis ich einigermaßen hinter seinen Sinn kam, und dann war mir auch klar, daß das meinem Freund Hieronymus nicht auf Anhieb gelingen konnte. Zu meinem Erstaunen waren nämlich meist Situationen beschrieben, die so nur im Künstlertmilieu vorkommen und im Erfahrungsbereich eines Theologen keinen Platz haben.

Im folgenden versuche ich, im großen und ganzen doch wohl richtig, wiederzugeben, was der Alte zu sagen hatte.

        Minuten

        Die Geburt des Odysseus, 1984

Er begann:

"Aus uralten Tagen, durch meine Ahnen übermittelt, ist mir die Verpflichtung auferlegt, Pintepios, den Gott der Kunstmaler, dem Schicksal des ewigen Vergessenseins zu entreißen und der Nachwelt Kunde von ihm zu geben. Dies tue ich heute zum letztenmal, denn wenn die Wissengschaftler kommen, verschließt sich der Mund der Wahrheit."

Und sein Bericht lautete, kurz zusammengefaßt, etwa so:

Pintepios war einer der beliebtesten Götter des Olymp, geistreich, amüsant, jugendlich sprühend vor Temperament, hochgeachtet wegen seiner Kunst. Eines Tages malte er die schöne Lia. Sie war blond, blauäugig, hatte feingeschwungene Augenbrauen, edle Nase, volle Lippen, Zähne wie Perlen, einen Hals hatte sie auch usw. , man kennt das ja aus der Literatur. Als er gerade an ihrem überaus wohlgeformten rechten Busen malte, überkam es ihn und er zeugte mit ihr den Classos, dessen Nachkommen die Maler der klassischen Form und des edlen Gleichmaßes wurden. Ein andermal malte Pintepios die schwarzlockige Petunia, die war schelmisch, spritzig und verführerisch, und als er ihren frechen linken Busen malen wollte, da schoß Amor gleich ein ganzes Bündel Pfeile auf ihn ab, und da zeugte er zunächst einmal den Phantos, den Ahnen aller Phantasten und Surrealisten, dann erst malte er weiter.

Nun hätte es eigentlich gereicht, denn mit schönem Maß und lebhafter Phantasie läßt sich alles machen, was in der Malerei Sinn hat. Aber, wie wir alle wissen, geht es auch bei den Göttern nicht so glatt ab, und auch bei Pintepios nicht. Zunächst schwamm er förmlich in Glückseligkeit, alles, was weiblich um den Olymp herum war, schwärmte für ihn und wollte sich von ihm malen lassen. Und er malte und malte und merkte in seiner Einfalt nicht, wie das seine göttlichen Mitbrüder zu wurmen begann, und auch den älteren olympischen Damen paßte es nicht, daß er die jüngeren schöner malte und außerdem gehört sich das nicht. Man weiß ja, wie eifersüchtig es in solchen Kreisen zugeht.

        Minuten

        Das All lässt grüßen, 1984

Zuerst wurde über ihn getuschelt, dann seine Kunst madig gemacht, man stellte ihm dezente Fallen, in die er in seiner Ahnungslosigkeit prompt hineintappte, man tat alles, was es gibt, um einen guten Ruf zu untergraben und schließlich - ich will hier nicht weiter auf die ganze Geschichte eingehen - schließlich sah er sich von der ganzen feinen Gesellschaft isoliert und niemand mochte ihn mehr.

Da begann er zu saufen und ließ sich in jeder Beziehung gehen, schlief am Tag und lungerte nachts herum, seine Haut wurde aschgrau, die Haare fielen ihm aus und seine Zähne putzte er auch nicht mehr und keine Dame, die auf sich hielt, wäre fürderhin auf die Idee gekommen, ihm Modell zu stehen, sitzen oder liegen.

Oh, diese Götter!

Aber Pintepios wollte wieder malen, und so nahm er halt, was er bekam.

Xauxhilt hatte keinen guten Ruf mehr zu verlieren, im übrigen war sie hager, mit ledriger Haut, hartem Mund, Hakennase und Fischaugen und überall standen ihr die Knochen vor. Als er an ihrer flachen und huzeligen rechten Gesäßbacke herumpinselte und sie gerade eine Rauchpause einlegen wollte, und weil er in seinem Suff nicht wußte, was er tat, ließ er sich dazu hinreißen, den Kubon zu zeugen, dessen Nachkommen alles in eckige geometrische Formen zerlegten und den Konstruktivismus und den Minimalismus erfanden.

Aber es ging immer noch weiter bergab mit Pintepios. Und da lag ihm eines Tages die fette Schnorzgurte Modell; alles an ihr schwabbelte und quabbelte, sie roch penetrant ungewaschen, ihre unappetitliche Haut schimmerte in unmöglichen Farben von schwefelgelb bis blaßlila, und als der verkommene Gott ihren monströsen Hintern malte, kam er auf die unglückliche Idee, sich und der Mitwelt beweisen zu wollen, daß er immer noch kann und zeugte unter großer Anstrengung den Tachos. Der machte sich schon als Säugling weithin durch lautes Geschrei und penetrantes Geplärre bemerkbar, und er wurde der Anherr aller Tachisten, Informellen, Verfremdungskünstler, Umweltmißgestalter und Sprühdösler.

Die Götterkollegen klopften sich zufrieden auf die Schultern.

Es war klar, daß sie, bei aller olympischen Liberalität, so einen wie den Pintepios nicht länger unter sich dulden konnten. Adel verpflichtet schließlich. Sie verstießen ihn aus dem Olymp, und ich kann nicht sagen, was weiter aus ihm geworden ist, denn an dieser Stelle seiner Übersetzung vermerkt Hieronymus: "Stimme wegen Flugzeuglärms nicht mehr zu verstehen." Alles was an Pintepios erinnerte, Tempel, Statuen und alle seine Bilder wurden vernichtet, sein Andenken aus allen Gedächtnissen gelöscht.

        Pintepios

        Pintepios, 1984

Nur die Werke seiner Nachkommen zeugen weiterhin von Pintepios, dem Gott der Maler. Classos und Phantos und deren Söhne und die Söhne ihrer Söhne überschwemmten die Welt geradezu mit herrlichsten Kunstwerken in leuchtenden Farben, von Ravennas Mosaiken über das Wunder der Fenster von Chartres, die Meisterwerke der Renaissance und des Barock bis hin zu Impressionismus und Moderne. Doch dann setzten sich mit marktschreierischer Wichtigtuerei immer mehr die unsympathischen Nachkommen der dürren Xauxhilt und der fetten Schnorzgurte durch als Avantgarde eines verkommenen Kunstbetriebs, womit wir bei der Gegenwart angelangt sind.

Meine Ausführungen sind, wie gesagt, nur eine vorläufige kurze Zusammenfassung und in Einzelheiten, weil die Übersetzungsarbeiten noch nicht abgeschlossen sind, vielleicht sogar nicht ganz korrekt, zumal am Schluß, wo mir meine eigenen Gedankengänge ein wenig mit hineingerutscht sind.

Der alte Mann übrigens, der den Text sprach, ist der letzte Nachkomme des einzigen Freundes, der auch dem verachteten Pintepios noch die Treue gehalten hat, des Schweinehirten Bartoklos.