Wie alles kam …
Rede des Vereinsvorsitzenden Bernd Nill
zur zur Finissage des Lettl-Museums
Im Januar 1992 hatte der 72jährige Künstler Wolfgang Lettl bei der Vernissage
seiner großen Werkretrospektive in der Toskanischen Säulenhalle ein Angebot
an die Stadt erneuert, dieser die inzwischen klassische Bildersammlung auf
unbegrenzte Zeit als Leihgabe zu überlassen, sofern geeignete Ausstellungsräume
zur Verfügung gestellt würden. Das damalige zur Disposition stehende
Oeuvre, entstanden zwischen 1963 und 1991, war in der Toskanischen
Säulenhalle auf gut 200 laufenden Metern Hängefläche zu sehen. Zur Halbzeit
der Ausstellung Mitte Februar 1992 wurde von rund 15.000 Besuchern berichtet.
Wichtig war Wolfgang Lettl, dass das Werk zusammen bleibt: „So viele meiner
Bilder beisammen in der prächtigen Säulenhalle ließen in mir die Überzeugung
aufkommen, die müssten irgendwie beieinander bleiben und der Öffentlichkeit
zugänglich sein. Mit dieser Meinung war ich nicht allein. Dann stellte sich aber
gleich die Frage: Wozu dieser Aufwand, was will meine Kunst überhaupt, das
diesen Anspruch rechtfertigen kann? Ich habe lange nachgedacht, und als ich
einmal wach im Bett lag und nicht einschlafen konnte, formulierte ich es so:
Kunst dient der Selbsterkenntnis und der Kommunikation.
Selbsterkenntnis, weil ich beim Arbeiten die Enge und Weite meines
Menschseins zu erspüren suche, und Kommunikation, weil ich anderen meine
Erkenntnisse und Erfahrungen meiner Bilder zugänglich mache und zu einer
Stellungnahme herausfordere, oder auch ganz einfach, weil ich mich freue, wenn
sich jemand an meinen Bildern freut.“
Eine eifrige Promoterin in diesem Geschehen war die unvergessene
Kultur-Journalistin der AZ, Dr. Elisabeth Emmerich. Unermüdlich klopfte sie an
die Türen derer, von denen sie sich ein solches Museum erwartete und
versprach.
Im Sommer und Herbst des Jahres 1992 versammelte sich eine Schar von sieben
wackeren Kunstfreunden, angeführt vom Vorstand der Augsburger Raiffeisen-Volksbank und ausgewiesenem Lettl-Fan Hans Eberle, und gründete nach
mehreren Treffen im Hause Kröll & Nill am 16.09.1992 den „Wolfgang Lettl-Verein zur Förderung surrealer Kunst e. V.“. In unserem Hause deshalb, weil wir
unser leer stehendes altes Lagerhaus von 1927 in der Spitalgasse, gegenüber der
Puppenkiste, als Bleibe für Wolfgang Lettls Kunst angeboten hatten. Es waren
aus diesem Kreis auch schon erhebliche Sponsoring-Zusagen eingegangen, die
aber noch lange nicht für den Betrieb eines Lettl-Museums wenigstens für zehn
Jahre gereicht hätten, als aus völlig unerwarteter Richtung der rettende
Vorschlag nahte: Das Weiterbildungszentrum der IHK wollte die Sammlung der
Lettl-Bilder aufnehmen. „Wir haben die Wandflächen, und die sind leer“, so hieß
es damals.
Dem vorausgegangen war ein einstimmiger Beschluss des Parlaments der
schwäbischen Wirtschaft, aus Anlass des 150jährigen Bestehens der Industrieund
Handelskammer für Augsburg und Schwaben, die Atriumräume des
Zentrums für Weiterbildung als öffentlich zugängliches Museum des Augsburger
Künstlers Wolfgang Lettl zur Verfügung zu stellen. Am 14. Juni 1993 fand vor 400
Gästen die Eröffnung des Lettl-Atriums statt. Mit dieser Einrichtung ging die
schwäbische Wirtschaft einen ungewöhnlichen Weg in der Kunstförderung und
begründete ein Museum neuer Art in privater Trägerschaft.
Welches Augsburger Museum kann das von sich behaupten: Mehr als 50.000
Besucher jedes Jahr! Lehrgangsteilnehmer, örtliche und auswärtige Besucher,
Schulklassen und auch viel ausländische Gäste trugen zu dieser erstaunlichen
Zahl bei. Dutzende von Gästebüchern mit begeisterten Einträgen, eine große
Schar von freiwilligen Helfern und Unterstützern, äußerst großzügige Sponsoren
z.B. bei der Anfertigung der Skulpturen im Park der IHK. Und nicht zuletzt das
„Alter Ego“ des Künstlers Wolfgang Lettl, sein Sohn Florian, der all die Jahre die
Ausstellungen gestaltete, Skulpturen herstellte, die Veranstaltungen organisierte
und vieles andere mehr.
Dank auch an die beinahe 100 Mitglieder des Vereins, die mit ihren Beiträgen
z.B. die Aufsicht an Sonntagen oder so manche Drucksache ermöglichten, aber
auch an die Vereinsvorsitzenden Hans Eberle, Niko F. Kummer, Horst von Stetten
und Dr. Dieter Münker, die sich nicht nur Wolfgang Lettls Kunst, sondern auch
dem einzigartigen Menschen mit seinem tiefgründigen Humor und seiner feinen
Wesensart selbstlos verpflichtet fühlten.
Es gab viele Versuche - vom Lettl-Verein wie von seinem Sohn Florian - Wolfgang
Lettl überregional bekannt zu machen. Es ist nicht gelungen. Woran das liegt?
Wolfgang Lettl wollte mit dem Kunstbetrieb nichts zu tun haben. Er wollte und
musste sich nicht zu Markte tragen. Das ist ein Glücksfall für sein Werk, aber auch
eine Einschränkung für die, die für sein Kunstschaffen engagiert waren und sind.
Aber betrachten wir das einmal von einer anderen Seite.
Eine allseits bekannte Augsburger Brauerei wirbt mit dem Slogan „Schönes
Leben hier!“ Dann folgen dem Spruch aber nicht die Vorzüge von Hopfen und
Malz, oder vom guten Wasser aus dem 200 Meter tiefen Brunnen unter dem
Hauptbahnhof: Nein, ein Lebensgefühl, eine emotionale Wahrnehmung dieser
Stadt wird hier angepriesen. Ich gebe zu, manchmal kostet es ein wenig
Anstrengung, alles ausfindig zu machen, was diese Empfindung auslöst, aber
eines ist gewiss:
Das Werk Wolfgang Lettls gehört dazu, es bietet sich als
einmaliges Alleinstellungsmerkmal für diese Stadt nachhaltig an.
Mitte September war ich in den Ötztaler Alpen beim Bergwandern, im Schnalstal
ganz in der Nähe des Fundortes des Mannes von Similaun, liebevoll auch „Ötzi“
genannt. 5.300 Jahre hat eine Decke aus Eis ihn verborgen, die Welt wusste
nichts von ihm. Entdeckt wurde er letztlich durch ein Naturereignis und einen
Zufall. Vielleicht sollte die Stadt Augsburg ihren Wolfgang Lettl ebenso als ihren
Schatz bewahren, sich an seinem Werk erfreuen, behutsam eine Decke darüber
ausbreiten und einfach abwarten? Es wird bestimmt nicht 5.300 Jahre dauern ...
Ende dieses Jahres werden wir die Lettl-Bilder im Atrium der IHK abhängen
müssen, da der gesamte Weiterbildungstrakt saniert und renoviert werden muss.
Noch ist nicht absehbar, wann, wo und in welcher Form die Bilder wieder
gehängt werden können. Aber wir sind voll Zuversicht, dass es sich - wenn nicht
die IHK - dann die Augsburger und ihre politische Repräsentanz oder die
regionalen Institutionen, auch die des öffentlichen Rechts, nicht entgehen lassen
werden, für eine adäquate Präsentation des Lebenswerks von Wolfgang Lettl zu
sorgen. Irgendwo wird Zukunft sein, behaupte ich in Abwandlung des
nebenstehenden Bildtitels, und jeder Einschnitt bietet die Chance für neue
Konzepte und einen neuen Anfang.
Der Lettl-Verein dankt allen, die zur Bewahrung dieses wunderbaren Werks und
zu dessen Zugang in den letzten 20 Jahren beigetragen haben. Surrealismus ist
großzügig, er lässt Spielraum. Die Begegnung mit Lettls Bildern kann jedes Mal
neue, andere Emotionen und Assoziationen auslösen. Genießen Sie es. Genau
das wollte Wolfgang Lettl.
Bernd Nill
Quelle:
20 Jahre Lettl-Atrium in der IHK
Festschrift, Augsburg 2013, S. 10-15