Rede von Wolfgang
Lettl zur Eröffnung der Ausstellung im
Neuen Strafjustizzentrum in Augsburg
am 10. Dezember 2001
Nein, ich komme nicht vors Gericht.
Der Ort und der Titel für diese Ausstellung ergaben sich,
weil der „Lettl-Verein“ auch dieses Jahr nicht auf eine Ausstellung meiner neuesten Bilder
verzichten wollte, obwohl in der IHK wegen der umfangreichen Umbauten und dem dazugehörigen
Durcheinander kein Platz ist. Da sind großzügigerweise die Oberen der Justiz mit dem Angebot
eingesprungen, wir könnten doch, und sie würden sich freuen, die Ausstellung hier in diesen
Räumen durchführen.
Dafür danke ich recht herzlich.
Dann tauchten die Probleme auf. Hatte ich genügend neue Bilder?
Nachdem ich mir heuer wieder einen längeren Aufenthalt im Zentralklinikum genehmigt hatte
und dann noch mal einen kürzeren. Und während dieser Zeit und gleich danach war natürlich
mit Malen nichts los; später ging´s dann wieder, zunächst arg zaghaft,
dann allmählich flotter. Dies und das kam wohl noch dazu, und wegen ein paar Bildchen eine
Ausstellung, das hat doch keinen Sinn. Doch, es hat einen, und wenn die Bilder gut sind,
dann spielt die Zahl keine so große Rolle, musste ich mich belehren lassen, und ein oder zwei
schon im Vorjahr gezeigte Bilder, das geht auch noch, und wenn´s mehr werden macht’s auch nix.
Die Erfahrung zeigt, dass man ein schon einmal gesehenes Bild oft nicht wiedererkennt,
wenn man es an einem anderen Ort in einer anderen Umgebung sieht und die Darstellung einen
genügend verwirrenden Eindruck macht oder so nichtssagend und müde ist, dass man ohnehin
nicht genau hinschaut.
„Gute Bilder“ sollten es allerdings sein, aber das ist so eine Sache.
Bei Bildern, die ich vor 20 Jahren gemalt habe, weiß ich zwar auch noch nicht,
wie gut sie wirklich oder nicht sind, aber ich weiß wenigstens, welche die besseren
sind und welche die anderen. Diese Einsicht fehlt mir leider fast immer bei den
neueren Bildern oder bei denen, die ich gerade bearbeite. Wenn ich gleich wüsste,
was besser und was schlechter ist, würde ich die schlechteren gleich weglassen und
nur die besseren malen. Geht aber auch nicht, denn innerhalb der gemalten „besseren“
würde sich bald herausstellen, dass es dabei wiederum um bessere und schlechtere geht,
so dass ich bei konsequenter Anwendung dieser Auswahlmethode höchstens ein, wenn nicht
gar kein Bild zustande brächte.
Als nächstes kommt die Frage der Benennung der Bilder.
Ein Bild ohne Namen ist wie ein Kleiderbügel ohne Haken.
Die Namensgebung ist bei uns wie mit den Kindern eine Familien- angelegenheit.
– Als erstes berieten wir über das Bild auf der Einladungskarte, das mit der
Strickhupferin. Die Strickhupferin ist die Hauptperson. Sie hat kein Gesicht,
man kann auch sagen, sie hat einen Hohlkopf, vier Beine und ein ziemlich kurzes
Hemd. Wie ich die vier Beine am Körper befestigen könnte, war mir zunächst nicht klar,
weswegen ich sie einfach mit dem oberen Ende am Hemd, bzw. dahinter und daneben herauskommen
ließ. Hauptsache, sie hüpft überzeugender und eleganter, als das mit nur zwei Beinen
jemals möglich wäre. Der Kopf hat nur formale Funktion für die Körperhaltung und als
Haarboden, von allen sonst für den Kopf spezifischen Aufgaben wie essen, sehen, denken
und riechen ist er freigestellt.
Darf ich Ihnen übrigens gestehen, dass mir das Bild gefällt?
Wie soll das Ding nun heißen? Was schlagen Sie vor? Nach langem Hin- und Herüberlegen
entfuhr uns ein erster vielleicht brauchbarer Vorschlag:
„An den Ufern der Garonne“, klingt ganz gut und lässt der Phantasie freien Lauf.
Von der „Garonne“ war, vom Sprachbild her kein weiter Weg zur „Gazelle“ und von daher
wiederum zur „Libelle“. Das passt besser zum verrückten, übersprudelnden Geschwirre
der Strickhupferin. Außerdem hat „Libelle“ doch vorn etwas mit „Liebe“ zu tun und hinten
mit „bella“.
Also „Rote Libelle“.
Es war noch ein weiterer Vorschlag im Gespräch, der die Bedeutung des Radfahrers
unterstreichen sollte. Flächenmäßig scheint der Radler zwar von geringerem Gewicht
gegenüber der Strickhupferin und dem Heer der ins Nichts abregnenden Pappkameraden,
denen auch ihre große Anzahl nichts von ihrer grauen Gesichtslosigkeit nehmen kann,
jedoch für den Bildaufbau ist er von immanenter Wichtigkeit, die durch das gelbgrelle Licht,
in das er hineinradelt, eindrucksvoll unterstrichen wird. Er füllt nicht nur die Leere,
die dadurch entsteht, dass die Hupferin, der Bildspannung wegen und damit sie Platz
zum Weiterhupfen hat, etwas aus der Mitte nach links gerückt ist, er gibt auch mit
dem Fahrrad und seiner Bewegungsenergie die raumüberbrückende Verbindung von vorn
nach hinten. - Beinahe hätten wir ihm zu liebe den Titel: “Der Verbindungsmann“ gewählt,
aber 2/3 der abgegebenen Stimmen blieben dann doch bei der „Libelle“ und das ist eine
satte Mehrheit.
Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass ich normalerweise in meinen Bildern
kein vorgefasstes Thema male, sondern von nichts ausgehe und versuche, mir etwas
einfallen zu lassen, von dem ich vorher keine Ahnung hatte. Dazu ist eine zumindest
partielle Leere des Gehirns, oder, anders gesagt, ist Unkontrolliertheit des
Denkapparates die Voraussetzung, ähnlich wie beim Schlaf, da kann sich auch die
Phantasie frei entfalten.
Bei dem Bild mit den vielen grauen Männern unter einem
Betonklotz war das etwas anders. In der Zeit vor 2 1/2 Jahren, als ich lang im
künstlichen Koma lag, besetzten mein durch Medikamente ausgeschaltetes Gehirn immer
wieder solche Männer die über den ganzen Horizont vom Wasser her, schweigend, ohne
sich zu bewegen auf mich zukamen. Nicht bedrohend oder fordernd, eher fragend.
Diese Vorstellungen waren so eindringlich und schienen mir so bedeutsam, dass
ich sie später, als ich längst wieder Herr meiner Gedanken sein konnte, in ein
Bild umsetzte.
Die mehreren der anderen Bilder sind, wenn man will, gesellschaftskritisch zu deuten.
Da freuen sich farbenprächtig sieben Gestalten über die Freiheit, im engen Raum auf
einen Gemeinschaftsspieß aufgereiht, sich um ihre eigene Achse drehen zu dürfen.
“Rückzug in Strukturen“ heißt das Bild.
Bei „Die Esel“ stand Francisco de Goya ein wenig Pate; er hatte nichts dagegen und
bestätigte mir, dass es auch zu seiner Zeit schon vorgekommen sei, dass Männer, mehr
oder weniger freiwillig, Esel spazieren tragen durften. Er wundere sich nur,
dass es bei uns überhaupt noch Esel gäbe, wo doch jeder jetzt ein Auto habe.
Ich habe die Komposition etwas modifiziert und den Mann mit dem geschulterten Esel
über ein Brett laufen lassen, das wiederum über ein liegendes bodenloses Fass gelegt
ist. Den Aufstieg hat der Mann schon bewältigt. Dargestellt habe ich die Situation
kurz nach dem Umkippen. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, den erschrockenen
Gesichtsausdruck des Esels im Augenblick, da er sich blitzartig der Aussichtslosigkeit
seiner Lage bewusst wurde, überzeugend darzustellen, wobei sich sein fahlgelbes T-Shirt
als sehr nützlich erwies. Er wollte halt zu hoch hinaus und das kommt nicht
nur bei Eseln vor.
Bilder, so wie ich jetzt getan habe, erzählend oder formal interpretieren zu können,
kann nicht ihr letzter und eigentlicher Sinn sein, sie wären nur eine Illustration
für das, was ihr Schöpfer denkt (oder nicht denkt, das kommt auch vor).
Ein Bild soll und kann aber mehr. Formen und Farben haben eine Sprache, die ausdrücken
kann, was anders so nicht auszudrücken ist. Sie können schön sein.
Was schön ist wissen wir alle, bzw. wir wissen es nicht.
Es entzieht sich wissenschaftlicher Definitionen und lässt sich auch nicht lernen,
denn jede Schönheit hat ihren Ursprung in Gott. Aber weil in unserer oberflächlich,
materialistisch geprägten Welt viele unserer Zeitgenossen ihre Schwierigkeiten mit
Gott haben, sage ich lieber: Schönheit ist göttlich, das klingt weniger fromm,
passt auch auf Greta Garbo und besagt letzten Endes doch das selbe.
Ich darf mir ersparen, den Begriff „Schönheit“ weiter zu strapazieren,
auf die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen von gut, wahr und schön einzugehen
oder zu versuchen klarzumachen warum schön und hässlich zwar das Gegenteil meinen,
sich gegenseitig aber durchaus nicht ausschließen müssen. Das Problem besteht gar
nicht so sehr darin, herauszubringen was letztendlich „schön“ und „hässlich“ denn ist,
das lässt sich im gegebenen Falle schon klarstellen, das Problem heißt „sehen“.
Sehen kann jeder, der nicht blind ist. Aber die Sehweise hat sich im Lauf der
Geschichte der Menschheit immer wieder geändert. Verändert hat sie sich im
besonderen während der letzten 100, oder man kann auch sagen 50 Jahre, infolge
der zunehmenden Technisierung fast aller Lebensbereiche.
Wir haben uns an die beleuchtete Nacht gewöhnt und kennen kaum noch Dämmerung,
Morgengrauen und Sternenhimmel. Unser Sehen, sei´s im Beruf oder in der Freizeit
ist weitgehend gekennzeichnet durch Einengung auf bestimmte Bereiche, auf Bildschirme,
Signale und Apparate, das Drumherum interessiert kaum noch um nicht zu sagen: es existiert
gar nicht. Was unsere Aufmerksamkeit erregen soll, wird zur Sensation emporstilisiert,
die Massen befriedigt man, indem man ihnen was zum Begaffen vorsetzt. Kunst aber
will gesehen sein, nicht registriert und nicht begafft werden, sondern angeschaut.
Das ist etwas anderes und will gelernt und geübt sein und setzt allerdings eine Kunst
voraus, die uns Hochachtung abverlangen kann.
Kunst als Geldanlage zu missbrauchen ist ein Missverständnis, um nicht zu sagen ein
Sakrileg. Der Kunst im „öffentlichen Raum“ nach Maßgabe der 2%-Klausel unter die Arme
greifen zu wollen ist ein Armutszeugnis, nicht wegen der Höhe des Betrags, sondern
wegen des Horizonts, den diese phantasielose bürokratische Gesetzesmacherei und ihre
exakte Anwendung vermuten lassen. Wenn man unversehens irgendwo auf „Kunst am Bau“ stößt,
und man merkt, dass es Kunst sein soll, drängt sich die Frage auf, was denn Kunst
überhaupt sei, und allzu oft ist man geneigt, sich die Antwort zu geben:
„Was keinen Sinn ergibt und keinen Zweck hat, ist Kunst“ und kann dann nur noch
hinzufügen: „aber viel Geld kostet.“
Beispiele dafür gibt es viele, Sie können sich überzeugen. Sie brauchen nicht weit
zu gehen. Wer natürlich der Definition anhängt: „Kunst ist alles, was der Mensch macht“,
für den erübrigen sich solche Überlegungen.
Neulich kam mir ein Artikel eines Prof. Dr. in die Hände der meinte, in der Modernen
Kunst sei, beginnend etwa mit dem Impressionismus, ein Reduktionismus in Gang gesetzt
worden der bewirkte, dass immer mehr der großartigen Errungenschaften der Malerei
preisgegeben wurden und dass wir schließlich mit der „Abstrakten“ den Nullpunkt erreicht
hätten. Man könne jetzt nur noch die Leinwand zerschneiden und den Rahmen zertrümmern
und darauf schreiben: „Hört auf zu malen!“
Wir sind im Gerichtsgebäude, hier geht es um Urteilsbildung, das soll uns eine
Herausforderung sein. Der Professor hat sicher recht mit seiner Diagnose. Seine
Schlussfolgerung kann mich allerdings nicht überzeugen.
Weil Kunst Leben ist und sich nicht in ein Denkschema einpassen lässt.
Und deswegen ist die Situation für einen Künstler, der sich ernst nimmt,
nicht wie der Professor meint, zum Verzweifeln. Irgendwann und irgendwie und vielleicht,
oder sicher jetzt schon wird es wieder, wie immer schon, Augen geben,
die sehen können und Köpfe, die sich was einfallen lassen und wenn das,
was sie zuwege bringen vom öffentlichen oder akademischen Kunstbetrieb
erfolgreich nicht zur Kenntnis genommen oder unterdrückt wird,
kann man getrost feststellen: wie gehabt.
Mein neuestes Bild heißt: „Was schaut ihr? - Seht euch selber an!“
Über den Titel lässt sich zunächst nicht viel erfahren und ich wusste auch nicht,
was das Bild bedeuten soll. Aber es gefällt mir mehr als die anderen.
Die Farben haben eine andere Aussagekraft als sonst. Wo gibt es denn ein so kaltes Rot?
Warum endet der Untergrund abrupt in einer Wagrechten, die einen fremden
Abgrund vermuten lässt, einen Abgrund ins Bodenlose? Oder in eine andere Welt,
die bisher außerhalb unserer Vorstellungsmöglichkeiten lag? Und was bedeutet der
sinnlose Punkt, der durch das Zusammenstoßen einiger unwichtiger Linien am Ende des
„Kanonenrohrs“ entsteht? Warum überhaupt diese lächerliche Attrappe von Kanönchen?
Fällt da eine Frau in den Tod, oder ist es ein Zeichen für Leben, für ein anderes,
uns noch nicht vorstellbares Leben? Will uns das Bild in seiner Rätselhaftigkeit sagen,
dass unsere Wirklichkeit und alles was wir darüber hinaus noch glauben, wissen und
ahnen können noch nicht das Letzte ist? Dass der Abgrund und die Rätselhaftigkeit
keine Gefahr bedeuten, sondern ... die unvorstellbare Vollkommenheit der Erlösung?
Wir sind im Gericht, nicht im Museum. Hier müssen Menschen verurteilt werden,
wenn sich ihre Schuld nach menschlichem Rechtsempfinden erwiesen hat.
Es geht nicht anders. Aber kann es uns in Ruhe lassen, dass es so sein muss?
Was ist Schuld, warum lässt Gott Schuld zu? Wie lange dauert Schuld?
Gibt es auch eine abgrundtiefe Schuld? Viele Fragen sind nicht zu beantworten,
bleiben uns ein Rätsel, lassen uns fassungslos weil sie an das Geheimnis des Bösen rühren.
Das Bild „Was schaut ihr? - Seht euch selber an!“ mit seiner leergelassenen
Mitte stellt nur Fragen und kennt die Antworten nicht.
Warum ist es dann eigentlich schön?
Weil dieses Gericht nicht das Letzte ist.
Ich hoffe, dass meine Ausführungen dem Ernst und der Würde des Raumes angemessen waren,
danke Ihnen fürs Zuhören und hoffe, dass ich Ihnen einige Anregungen mitgeben konnte.
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