Rede von Wolfgang
Lettl zur Eröffnung der Sonderausstellung
am 15. Dezember 2006
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Freunde,
die Bilder dieser Ausstellung sind fast alle im Laufe des letzten Jahres entstanden, wie sie mir eben eingefallen sind, zwar nicht unabhängig voneinander, aber ohne einen Plan oder irgendeine verbindende Idee. Ich wollte nur gute Bilder malen und wie das geht, weiß ich nicht, ich weiß höchstens, wie es nicht geht. Anders ausgedrückt: Ein gelungenes Bild ist für mich eine Überraschung, eine Mitteilung von etwas und irgendwoher, wovon ich vorher keine Ahnung hatte und das irgendwie mit Wahrheit zu tun hat.
Als wir uns einen Titel für diese kleine Ausstellung überlegten (ein Titel macht sich ja immer besser als keiner), bei dieser Titelüberlegung viel Florians Blick auf ein philosophisches Werk, das gerade auf dem Tisch lag. Es nennt sich „Mensch sein - ein Prozess“. Offensichtlich hatte Florian Schwierigkeiten „Mensch sein“ als Prozess zu verstehen, also als etwas, das zwar nicht ganz einfach ist, aber doch meistens zu einem angestrebten Ziel führt, und er schlug vor lieber zu sagen: „Mensch sein – ein Versuch“.
Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, nachdem ich schon früher einmal bei der Reihe „13 Versuche ein Hahn zu werden“ mit dem letzten Bild angedeutet hatte, dass es natürlich nicht darum geht, ein Hahn zu werden, sondern ein Mensch, und dass das Gelingen der Menschwerdung keineswegs selbstverständlich ist.
"13 Versuche ein Hahn zu werden" - Bild 13"
Nun hat jede Kunst mehr oder weniger, wenn sie ernst genommen sein will, mit der Menschwerdung des Künstlers wie auch der des Betrachtes zu tun, je nachdem wie der Künstler sich mitteilen kann und der Betrachter vom Kunstwerk ergriffen wird, und je nach Veranlagung, Erziehung und Erfahrung kann dieses Ergriffensein mitbestimmend für unsere Entwicklung und Lebenseinstellung sein, oder auch nicht.
Wir entwickeln uns nicht gleichmäßig in sanft ansteigender Linie, sondern eher ruckweise und so einen Ruck hat es bei mir getan, als ich, noch ziemlich klein, in der alten Pinakothek die mittelalterlichen Altarbilder in ihrer leuchtenden Farbenpracht sah. Da musste ich wohl empfunden haben, dass das Unvorstellbare Wirklichkeit werden kann.
Warum malen eigentlich die Kinder?
Weil für sie Malen eine der wenigen Möglichkeiten ist, sich ihrer Eigenartigkeit bewusst zu werden und vor sich selber, den anderen und den „Großen“ etwas zu gelten.
Bilder stehen am Anfang jeder Bildung. „Bildung“ kommt schließlich von „Bild“ und die Bildsprache ist älter als die Wortsprache. Bilder sprechen uns direkt an, haben ihren Ausdruck in sich, während Wörter meist willkürlich oder zufällig entstanden sind und sie, wenn ihre Bedeutung nicht gelernt ist, keinen Sinn ergeben, mit wenigen Ausnahmen in der Kindersprache: „Mama“ und „Papa“ sind Lautmalereien, „Depp“ vermutlich auch.
Dass ich schon als Zweitklässler in der Volksschule mein erstes Bild, die Zeichnung einer schönen Dame im Profil, für 3 Pfennige einem Mitschüler verkaufen konnte, zeigt deutlich, auf welche Zukunft meine Begabung hinwies, aber ich will Sie jetzt nicht mit meinem Lebenslauf belästigen.
Maler soll man nicht fragen, warum sie in diesem oder jenem oder gar keinem Stil malen.
In dieser Beziehung nämlich sind Maler dumm.
Dekorateure würden antworten: Weil es so Mode ist, weil man das jetzt so hat.
Dass Maler dumm seien ist übrigens keine abschätzige Behauptung.
Sie stehen damit in einer Reihe mit Sokrates, der bekanntlich sagte, dass er wisse, dass er nichts wisse.
Man sollte sich nur nicht noch dümmer stellen als man ist.
Wenn einem Maler ein Werk gelungen ist weiß er, dass das im Wesentlichen nicht seinem Können oder
seinem Verstand zu verdanken ist, sondern einer Eingebung,
die sich seiner Kontrolle entzieht, und der er folgen muss.
Das klingt etwas geschwollen, aber es ist so. Es kommt aus dem metaphysischen, unterbewussten Bereich,
wie die Liebe auch.
Wer es billiger haben will bleibt im Kunstgewerbe stecken. Teilwahrheiten wie: „Kunst ist lehrbar und erlernbar“, „jeder kann Kunst lernen“, „alles was ein Mensch macht ist Kunst“ stammen zwar aus dem „Bauhaus“, führen aber nicht weiter.
Als junger Mann, der Maler werden wollte - leicht zurückgeblieben und verblödet nach 6 Jahren Militärdienst - sah ich mich einer ansehnlichen Zahl von „Ismen“ gegenüber. Dass es außerhalb der „Moderne“ keinen Weg der Weiterentwicklung gab, war mir klar, klar war mir nur nicht ganz, was „modern“ eigentlich ist. Zunächst galt als „modern“ die Kunst der jeweils letzten 100 Jahre. Jetzt gilt als „modern“ so ungefähr alles, was irgendwie verrückt ist.
Zur Klarstellung: Ich verstehe „verrückt“ nicht unbedingt negativ. „Verrückt“ heißt auch „von der Stelle gerückt“ und ist das Gegenteil von „starr“ und auch von „stur“ und was endgültig starr ist, ist tot.
Ich wandte mich dem Surrealismus zu. Nicht nur, sondern auch weil ich die Fortschritte vergangener Zeiten,
den Umgang mit der Perspektive vor allem, nicht ignorieren und mich nicht naiver stellen will,
als ich bin. Naiv und allzu naiv rutscht nämlich gern ab ins Läppische, da hilft kein Großformat.
Was hat die Ausstellung mit dem Titel „Mensch sein – ein Versuch“ zu tun?
Ziemlich viel. Die Kunst ist für den Maler die Lebensaufgabe die irgendeinmal, und was mich betrifft, bald darüber entscheidet, ob sein berufliches Leben seinen Sinn erfüllt oder verpasst haben wird.
Ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt stellen die Bilder auch Fragen, meist aber nicht den Maler betreffend,
sondern die Menschheit: Wie geht der Mensch mit sich selber um? Was hat er aus der ihm anvertrauten Erde gemacht?
"Die Basis"
Dieses Bild haben wir „Die Basis“ genannt, - über den Schultern der Sklaven erhebt sich die Gesellschaftspyramide.
Oben die Spitze, dann die Mittelschicht und die Unterschicht und ganz unten, aus aktuellen Anlässen wieder für kurze Zeit ins Blickfeld gerückt, die „Prekären“, oder die „Neue Unterschicht“ oder einfach die Arbeitslosen und Armen.
Diese Schichten hat es immer schon gegeben und wird es auch immer geben,
weil die Menschen nicht alle gleich sind.
Dass aber die Reichen automatisch immer noch reicher werden müssen und die Armen immer noch ärmer, das stellt kein gutes Zeugnis für unsere Gesellschaft aus. Was tun?
Sozialistische Umverteilung ist keine Lösung.
Ob das Fett immer oben, oder oben immer das Fett schwimmt, bleibt sich gleich. Nicht umverteilen wäre die Lösung, sondern umdenken. Umdenken lässt sich aber durch keine Bildungsreform beschließen, höchstens anregen, Bildung muss aus dem Herzen kommen.
Im Evangelium steht dazu: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet.“
Hat eigentlich alles Seiende eine Mitte? Ich weiß es nicht. In den frühen Jahren meines, aus heutiger Sicht des vorigen Jahrhunderts, hatte Hans Sedlmayr mit seinem Buch über den „Verlust der Mitte“ heftigste Diskussionen angeregt. Heute ist das kein Thema mehr. Der „Verlust der Mitte“ ist eines von den Dingen an die wir uns schon gewöhnt haben, wie an die Atombombe.
Beim Entwerfen von Bildern bin ich, salopp ausgedrückt, bisher meist von dem Schema ausgegangen: „Das Wichtigste in die Mitte und die Zutaten drum herum.“ Diesmal aber hat sich etwas Sonderbares ergeben, es entstanden Bilder nach dem unmöglichen Schema: „Einiges außen herum und in der Mitte gar nichts.“ Ist das nur eine komische Laune von mir, oder ein Gleichnis für unsere Zeit? Ist „Ratlosigkeit“ der Zustand an den wir uns allmählich immer mehr gewöhnen müssen?
"Die Brüder"
„Die Brüder“: Sind sie nun Brüder oder ist das ein Irrtum? Sie haben sich schon lange nicht mehr gesehen, und wollen sich auch gar nicht. Nur zufällig sind sie sich begegnet, der eine dem anderen. Soll man sich ansprechen, vielleicht ..., oder sich nichts anmerken lassen? Das Pferd weiß auch nicht: ist es nun ein Pferd aus Pferdefleisch und Pferdeblut, oder ist es nur aus Holz geschnitzt und angemalt. Woher soll ich es wissen? Und die durcheinandergebrachten Buchstaben: War das nicht einmal ein Gedicht? Oder ein Satz, vielleicht ein ganz wichtiger? Die „Brüder“ sind wieder auseinander gegangen. Es wird wohl ein Irrtum gewesen sein. Nehmen wir´s halt an.
"Der Verlust der Mitte"
Vielleicht etwas dezenter aber um so brutaler ist das Thema „Ratlosigkeit“ beim nächsten Bild angesprochen. Auch hier ist die Mitte leer. Noch leerer als leer, denn die Mondsichel steht nicht am Himmel, sondern ist nur kitschig auf eine Tapete aufgemalt. Die Tapete soll der Himmel sein, oder der Himmel wird zur Tapete, wie man´s drehen will. Die pompöse Treppe führt nirgends hin, es ist ja gar nichts da, wohin sie führen könnte. Das Figürlein das da angeblich im All herumsegelt, ist nur eine armselige Puppe. Und da ist, rechts unten, noch eine Gruppe, die offensichtlich nicht recht weiß, ob sie überhaupt dazugehört.
Ich darf sie wieder einmal vor Missverständnissen warnen: Bilder sind nicht da um erklärt zu werden, sondern um da zu sein. Ich male auch keine Geschichten, sondern Bilder. Sie brauchen nicht unbedingt schön sein, aber wahr. Was aber wahr ist, wusste auch Pilatus nicht. Auch nicht annähernd. Seine Frau schon eher. Sie hatte eine schlaflose Nacht, mindestens. Wir dürfen annehmen, dass sie noch mehrere schlaflose Nächte hatte.
"Und trotzdem geht sie nicht"
Erwarten sie nicht, dass ich Ihnen viel über Goyas Marchesa de la Solana erzählen könnte. Ich habe sie kopiert, weil sie mir so gut gefallen hat. Das darf ich doch. Dann habe ich sie von ihrem braunen Portraithintergrund erlöst, sie etwas aus der Bildmitte herausgenommen und in eine offene Landschaft gestellt. Nein, keine schöne Landschaft aus dem Süden, sondern eher ein Stück Poebene mit hässlicher Industriearchitektur und darüber, als Kontrast zur stolzen Spanierin, drei arrogante Hohlköpfe in einem unmöglichen Flugapparat. Allerdings mit frisch geputzten Schuhen.
"Der letzte Akt"
Bei dem großen Bild „Der letzte Akt“ ging ich von einer rechteckigen, nach vorne offenen Bühne aus, auf der sich dann das Bildgeschehen abspielen sollte. Was das hätte sein können, war mir zunächst völlig unklar, und ich weiß auch nicht, warum mir bei meinen Überlegungen immer wieder Goethes „Zauberlehrling“ in die Quere kam mit seinen „Geistern die ich rief, die werd´ ich nicht mehr los.“, und da ließ es sich nicht vermeiden, die Parallele zu ziehen zwischen dem Zauberlehrling mit seinem Besen und unserer Spaß- und Erfolgsgesellschaft mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten. Ich begann Menschengruppen zu entwerfen, die mehr oder weniger sinnlos herumstanden, der Ratlosigkeit unserer Situation angepasst.
Weil aber Kunst alles darf, nur nicht langweilig sein, platzierte ich in die linke Bildseite schräg schwebend über den Platz die schwarze Gestalt. Was sie bedeuten könnte, wusste ich zunächst nicht, nur dass sie, um des Gleichgewichts willen, auf der rechten Bildseite noch etwas brauchte, eine Gewitterwolke vielleicht. Aber „Gewitterwolke“ war zu banal, das sah ich sofort ein, und ohne viel Überlegens entstand anstelle der Wolke knapp überm Horizont, dann sich vergrößernd bis zum oberen Bildrand, immer weiter um sich greifend eine skurril-brutale Gestalt. Als ich in dieser bedrohlichen Lage die ratlos herumstehenden Menschengruppen malen wollte, widersetzte sich etwas in mir, und meiner ursprünglichen Absicht entgegen malte ich anstatt der verunsicherten Menschen heiter plaudernde Gruppen in friedlicher Sonntagsstimmung.
Zunächst einmal: was soll der schwarze Mann?
Dass er schwarz ist, deutet nicht
auf seinen Beruf oder seine Gesinnung hin, ich wusste nur nicht, wie ich „Farblosigkeit“
sonst hätte darstellen sollen. Sein Gesicht hat er verloren, er braucht auch keines,
wir kennen sein unverbindlich-verbindliches Lächeln aus zahlreichen Angeboten in Sachen Menschheitsbeglückung.
Dass er sein Gesicht verloren hat, kommt vom Lügen. Aber was heißt hier schon lügen?
Er lächelt die Wahrheit beiseite. Gott hat er unter Denkmalschutz gestellt, der kann Spendenquittungen schreiben. Unsinn. Nach langem Überlegen war mir klar, die schwarze Gestalt heißt: „Die Anmaßung“
Was das abscheuliche Ungeheuer auf der rechten Bildhälfte bezeichnet
ist nicht schwer zu erraten. Das Böse. Oder nennen wir´s den „Teufel“. Sie lächeln? Meine Generation hat ihn kennen gelernt. Vom Anfang, als wir fast noch Kinder waren, da sollte angeblich die Welt noch am deutschen Wesen genesen. Am Schluss war „rücksichtslos“ das Hauptmerkmal für Deutschlands Größe. 25 Millionen Tote oder 40 Millionen, ich weiß es nicht mehr genau, müsste mal nachsehen. Das Böse hat viele Gesichter. Man kann auch sagen, es habe gar kein Gesicht, und wahrscheinlich stimmt das auch aber „gar kein Gesicht“ kann man nicht malen. Oder doch. Ich weiß es nicht.
Als ich das Bild fertig hatte war ich überrascht von der Leuchtkraft des Himmels die sich in den Lichtflecken auf dem Gebäude widerspiegelt und auch auf dem Boden des in der Mitte leeren Platzes nachleuchtet. Da wusste ich, das ich das ganze Bild dieses Lichtes wegen habe malen müssen.
"Eselei"
Gefallen Ihnen die Eselchen? Mir auch. Zum Problem wurden die drei Männer unten am Turm. Sie sollten sozusagen Männer sein ohne Männer zu sein, aber nicht in der Art, wie sie manchmal in Wirklichkeit vorkommen, und außerdem sollten sie verschiedene Charaktere darstellen, damit das Bild nicht langweilig würde. So wurde einer ein ausgesägtes Loch in der Wand, der zweite das ausgesägte Stück Loch, wenn ich so sagen darf, und als dritten nahm ich einen Hohlmann, der gerade so herumstand.
Franziska fragte mich, wie ich denn das mache, dass die Eselchen so unbeschwert in der Luft tanzen können, ohne dass man auf die Idee käme, sie könnten doch auch herunterfallen. Nun ja, so halt.
"Jahn Junior"
Vielleicht weiß es Jahn junior. Sie erinnern sich doch an den Turnvater Jahn?
Zu meiner Zeit hing sein rauschebärtiges Portrait frisch, fromm, fröhlich, frei in allen Turnhallen.
Und Jahn junior ist also sein Junior. Er sagt, wenn etwas gar nicht mehr gehen will,
und dabei wirft er einen vielsagenden Blick auf die Fische, wo man nicht recht weiß, was sie sollen oder wollen, wenn etwas also gar nicht mehr gehen will, stellt er sich einfach auf den Kopf, dann sind die Fische da, wo sie hingehören, nämlich unten, und alles andere sieht auf einmal ganz anders aus. Das leuchtet ein. Recht hat er. Warum er aber dabei immer so komisch in sich hineingrinst?
Hier wollte meine kurze Rede eigentlich zu Ende sein. Aber irgendwas stimmt nicht.
„Mensch sein - ein Versuch“ ist das Thema dieser kleinen Ausstellung, „ein Versuch“ schließt aber nicht aus,
dass er auch misslingen kann. Ich will Ihnen mein bisher letztes Bild, „Die Hinrichtung“ nicht vorenthalten.
"Die Hinrichtung"
Der Wahrheit wegen.
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