Rede von Wolfgang
Lettl zur Eröffnung der Sonderausstellung
am 2. Dezember 2005
Verehrte und liebe Freunde,
Vor Jahren schon habe ich meinen Intimkreis beauftragt, für den zu erwartenden Fall, dass meine Leistungsfähigkeit im Alter sichtbar nachlassen würde, mich das dezent merken zu lassen, weil ich keine Lust verspüre weiter zu malen, wenn mir gar nichts Gescheites mehr einfallen sollte.
Es hat sich bisher noch nicht begeben, dass ich mich auf diese Weise in den Ruhestand hätte zurücklehnen können,
aber es lässt sich aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht verhindern, dass ich mich des öfteren in die Horizontale
begeben muss.
So kam es denn auch vor, dass ich bei einer solchen Schaffenspause in einem Bett lag,
und weiter nichts sah, als das weiße Rechteck der Krankenzimmerdecke über mir, und außen herum die charakterlosen ungrünen Wände, die durch den spärlich angebrachten Wandschmuck nichts von ihrer Eintönigkeit verloren.
Nicht, dass ich mir unglücklich vorgekommen wäre, aber im Laufe dieses Nichtstuns machte
sich in mir die Vorstellung breit, wie es wohl wäre, wenn diese Einsamkeit und große Leere immer
bleiben würde, ohne Sinn und Ansprache und ohne Abwechslung, keinen Menschen, kein Hund und kein Katz, kein Garnix: Da wurde mir ganz sonderbar zumute und ich erlebte für ganz kurz: Das müsste wohl die Hölle sein, und zwar eine Hölle, wogegen die Unterweltvisionen des Hieronymus Bosch sich direkt idyllisch ausnehmen würden.
Ich habe dieses Experiment mit dem Nichts schnell abgebrochen und mir ist auch bald klar geworden, wie ich auf diese sonderbare Idee überhaupt gekommen war.
Florian hatte nämlich mit meinem Bild vom Kindheitschreckenstraum mit den drei Türen eine Computeranimation
veranstaltet, wobei er die mittlere Tür öffnete und dabei den Blick freigab auf den nächsten Kellerraum mit
einer weiteren Tür, die genau nach hinten in den übernächsten Raum führte, der hatte wiederum eine offene
Tür nach hinten, und so immer weiter, und eine surreale Gruppe zog von Raum zu Raum, erst von links nach rechts,
dann jeweils immer von der anderen Seite in den nächsten Raum, immer weiter nach hinten, bis sie in der Raumtiefe
ganz klein erschien und kaum noch zu sehen war.
Da war ich fasziniert von dem Zwang der Raumvorstellung, die sich durch die eintönige Wirkung der immer
sich gleichmäßig aneinanderreihenden Räume viel überzeugender darstellen ließ, als nur durch die schlichte
Anwendung des Gesetzes von den Parallelen, die sich bekanntlich in der Unendlichkeit treffen.
Ich begann zu experimentieren.
Was bisher mehr oder weniger notwendiger Hintergrund für plastisch wirken sollende Darstellungen war,
wurde nun zum gleichberechtigten oder sogar wichtigsten Bildmotiv: Der unendlich in die Tiefe sich ziehende Raum.
Ich musste einiges dazulernen.
Zunächst verbreiterte ich die Türöffnungen. Damit waren die Räume zu einer unendlich
langen unfreundlichen Tiefgarage in betonbunkergrau aneinandergereiht. Wo soll da Farbe und Leben herkommen?
Dazu musste ich mir etwas einfallen lassen, aber so, dass nicht die Wirkung der Raumtiefe verloren ginge.
Weil ich aber gewohnt war, immer die Bildmitte zu betonen,
ist mir das bei meinem ersten Versuch nicht ganz gelungen, um nicht zu sagen, gründlich danebengegangen.
"Die Herren der Nacht"
Einige schwarzgekleidete Herren im Zylinder, obwohl sie verhältnismäßig wenig Platz in der Bildfläche für sich beanspruchen, verdecken doch die Unendlichkeit so gründlich, dass der Zeit, entgegen ihrer Gewohnheit, nichts anderes übrig blieb, als, anstatt von einer Tiefe in die andere, von links nach rechts zu laufen, quer zur geplanten Richtung.
"Das Problem"
Das „Problem“ im gleichnamigen Bild mit den Herren, die sich so wichtig gebärden,
weil sie nicht wissen, was sie noch alles tun könnten, um sich gegenseitig daran zu hindern etwas
vernünftiges zu tun, oder genauer gesagt, das einzig Vernünftige, wobei sie allerdings nicht wissen können,
was das „einzig Vernünftige“ denn wäre, (ich aber allerdings meine Meinung darüber für mich behalten möchte,
weil ich es nämlich auch nicht weiß), die Herren Abgeordneten also,
die schließlich die Interessen ihrer jeweiligen Organisationen zu vertreten haben, das Problem mit diesen Herren also ist,
dass sie den Blick in die Tiefe so gründlich verstellen zu müssen glauben, dass für meine ursprüngliche Idee,
einen Beitrag zur Ergründung der Geheimnisse der Unendlichkeit leisten zu können, kein Platz übrig bleibt,
einmal ganz abgesehen von der Frage, wie und woher denn dieser riesige, schwebende schwarze Quaderstein in die
Tiefgarage gelangen konnte. Die Bruchstelle durch die Mitte lässt allerdings auf Gewaltanwendung oder unsachgemäße
Behandlung schließen.
Um im Folgenden die Tiefenperspektive richtig zur Wirkung kommen zu lassen, hielt ich mich meist an das Schema:
Eine große Gestalt vor der linken oder rechten Trennwand, und einige Räume weiter hinten eine durch die perspektivische
Verkürzung verkleinerte Figur, die aber mit der vorderen Gestalt in keiner Beziehung steht, außer der,
dass sie eben auch da ist.
"Der Überfall"
Beim „Überfall“ indes konnte ich mich an dieses Schema nicht halten. Hier besetzen die „Helden“ die ganze linke Bildhälfte und jagen in disziplinierter Sturheit die Tauben auf der anderen Seite auseinander und rennen sich dabei die Schädel ein; eine wirkungsvolle Propagandamaschine hat sie nämlich in ihrer Überzeugung bestätigt, dass sie die Tauben seit immer schon nicht nur als ihre schlimmsten Feinde zu betrachten haben, die auch für das schlechte Wetter verantwortlich sind, sondern auch zu den verkehrten Göttern beten, und deshalb ausgerottet werden müssen. Denen bleibt nichts anderes übrig, als sich durcheinander jagen zu lassen und ihr Heil in der Flucht zu suchen.
Dies und so ähnlich ist die Geschichte vom Frieden und vom Krieg, die nie ganz enden wird. Denn der Krieg hat seine unausrottbaren Wurzeln nicht in sich selber, sondern im Neid und in der Arroganz. Und mit denen müsste jeder bei sich selber fertig werden, denn sie gehören offensichtlich zur menschlichen Grundausstattung.
Die bisher besprochenen drei Bilder gehören mit sechs anderen gleichen Formates,
die allesamt in der ersten Hälfte von 2005 in Zusammenhang mit meinem Dreitürenkindheitstraum entstanden sind,
zu einer Serie, die in der Unterwelt spielt.
Ich nehme mir die Freiheit, diese aber nicht einfach immer „Unterwelt“ zu nennen und zwar nicht nur,
weil ich immer die Abwechslung der Gleichförmigkeit vorziehe, sondern
weil ich den Ort meiner Betrachtungen nicht immer mit ganz reinem Gewissen
nur als „Unterwelt“ bezeichnen kann. Ich benutze deshalb dafür auch andere Bezeichnungen von
„Hölle“ bis zu „Tiefgarage“ und ich verfolge keinerlei Absicht damit, dass ich auch mal von „Schattenreich“,
„Bunker“ oder einfach „Keller“ rede, gemeint ist immer das selbe, wenn man auch nicht immer das selbe meint.
Dem, was einem in der Unterwelt alles begegnen kann, sind keine Grenzen gesetzt,
das zeigen die herrlichen Sagen der Griechen, das zeigt Dantes „Divina Commedia“,
das zeigen unsere Träume und das zeigt die Phantasie des Malers.
Es hätte mich beinahe gereizt, meine ganze Produktion vor die imposante Kulisse dieser Schattenwelt zu verlegen,
aber erstens liebe ich, wie schon erwähnt, die Abwechslung, und zweitens ertrug ich es nicht mehr,
die betongrauen, lichtlosen Tiefgaragen zu malen und beschloss: neunmal die Unterwelt und dann zurück zur Sonne.
Doch zunächst schaute ich mich noch ein wenig um.
"Der Spinner"
Da war ein Spinner und eine Dame, die auf einem Fisch reitet.
"Vergils Besuch in der Unterwelt"
Ich sah die Lichtgestalt Vergils, der quer zur üblichen Richtung den Schatten einen Besuch abstattete.
"Der Fluch der Götter"
Und da war jener Olympiasieger im Kugelstoßen, der so vernarrt in seinen Muskelprotz-Corpus war und von Trainingslager zu Trainingslager eilte und aus lauter Sportbegeisterung und Wichtigtuerei seine Liebste vernachlässigte und schließlich ganz vergaß.
Zur Strafe verwandelten ihn die Götter in sein eigenes marmornes Standbild, wo er, als Mahnung für die Nachwelt, dazu verdammt ist, in kugelstoßender Haltung zu verharren, ohne indes in der Lage zu sein die Kugel jemals wieder stoßen zu können.
"Der Wächter"
Irgendwo hielt mich der Wächter an und riet mir mit erschrockener Miene und eindringlichen Worten, hier, wo es noch weiter nach unten ging, bitte sofort umzukehren.
"Die Unschuld"
Als bei dem ahnungslosen Kind und dem zu Tode Gequälten der unendliche Raum immer leerer und in seiner
Unendlichkeit immer öder wurde, legte sich tiefste Niedergeschlagenheit auf mich,
und ich malte mitten in diese Trostlosigkeit das Kreuz als Zeichen dafür, dass die Schattengestalten,
die Einsamen, Gescheiterten und Ausgestoßenen in Gottes Barmherzigkeit nicht vergessen sind.
"Magdalena"
Weil ich nicht noch einmal in die Tiefgarage zurück wollte, sondern ans Licht und zu den Farben,
zerschlug ich in einer wahren Zerstörungsorgie unter Zuhilfenahme eines Erdbebens die drei Türen samt den Wänden.
"Das Beben"
Vor lauter Freude und weil ich eigentlich gar nicht mehr laufen können sollte,
rannte ich mit solchem Schwung, dass ich mich beinahe in meine einzelnen Bestandteile aufgelöst hätte.
Dann machte ich mich von neuem frisch ans Werk, weg aus der Trübnis hin zum Licht.
"Irgendwo muss Zukunft sein"
Ich ließ den Mond im Meer sich spiegeln, sein helles Gelb
zeichnet die Konturen einer Gruppe von felsigen Männern nach,
die in ihrer dunklen aber heiteren Feierlichkeit den linken Bildraum beherrschen;
tiefblauer Dämmerungshimmel bestimmt, zusammen mit seiner etwas schwereren Spiegelung im Meer,
den Grundton der Szene. Zwei Kähne stehen weiter hinten im Dunst, in den Kähnen sitzen
zwei Gestalten mit undefinierbarer aber offensichtlich schwerer Last auf den Rücken gebunden.
Und darüber das Wunderbare: Im ersten Morgenlicht schwebt eine mit schlampigen Buchstaben bemalte Kugel,
und zwei herausragende Beine halten sie in sanfter Bewegung.
Mehr dazu sage ich nicht.
Bilder sind nicht in erster Linie zum erklärt werden,
sondern zum angeschaut werden da. Und es gibt Bilder,
bei denen erklären wollen gar keinen Sinn hat, weil der Bildsinn ein anderer ist, als der Sprachsinn.
Über das aber, was wirklich ist und was nicht wirklich ist, mögen sich die Philosophen streiten.
Das letzte Bild habe ich gerade noch fertig gebracht, und deswegen stand es immer auf der Staffelei
und hat mich nicht in Ruhe gelassen. Es gefiel mir gut und ich weiß nicht warum.
"Der Verdacht"
Die verrosteten Räder im Vordergrund haben den Sinn, unauffällig in die Mitte des Bildes zu führen,
zu der weißen Fabrik, der die Aufgabe zufällt, die Senkrechte zu betonen und mit ihren roten Schornsteinen
Farbe ins Bild zu bringen.
Deren Qualm und die schwarzen Männer, mit ihren kaum angedeuteten Gesichtern, setzen der Senkrechten
die Diagonalen entgegen, alles zunächst eine Angelegenheit der Kompositionsästhetik.
Aber die schwarzen Gestalten bedeuten doch eine böse Gewalt, oder immerhin Unheil oder Autorität?
Lauern sie vielleicht?
Nein, sie sind hier ein ganz neutraler Teil der Komposition, nichts weiter.
Schauen wir uns den dunklen Mond an. Soll das ein Mond sein? Es ist ein Gesicht und nicht am Himmel, sondern über der weißen Fabrik.
Wie spricht es mich an?
Großartig? Feierlich? Drohend? Fordernd? Wird es mir zum Gericht?
Nein. Das Gesicht fragt: Warum?
Warum weinen die Neugeborenen und warum weinen die Sterbenden nicht?
Warum ist die oberste Fensterreihe vergittert?
Damit keiner hinunterfallen und sich das Kreuz brechen kann.
Außerdem sieht man es fast gar nicht.
Und erspar dir deine Fragen.
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