Rede von Wolfgang
Lettl zur Eröffnung der Ausstellung im
Lettl-Atrium Museum für surreale Kunst - Augsburg
am 30. November 1999
Verehrte Frau Präsidentin, liebe Freunde,
Sie kennen doch sicher die Erzählung vom schwarzen Hund im Tunnel.
Der Tunnel war nicht geradlinig, die Straße führte nach dem Tunnel in eine andere Richtung
weiter, so daß man in seinem langen mittleren Stück die vom Tageslicht
erhellten Ausgänge nicht sehen konnte. Aus unerfindlichen Gründen war der
Tunnel auch nicht beleuchtet, die Straßenmitte und die Ränder waren durch
einen weißen Streifen markiert, damit die Autos die Richtung nicht
verloren-, der Verkehr war indes äußerst gering, die Strecke war wegen der
unruhigen Zeiten kaum befahren.
Welcher Rasse der schwarze Hund zuzurechnen sei, ist nirgends festgehalten, er war wohl ein
langhaariger Hirtenhund aus der Gegend, herrenlos und gutmütig mit einem
dichten Schwanz. Er streunte durch die Landschaft und kam dabei zufällig zum
Tunnel, das schwarze Loch erregte seine Neugier. Langsam trottete er hinein.
Innen wurde es allmählich dunkler, die Luft feucht und
kühl.
Da schreckte ihn Motorengeräusch auf, der Lärm wurde immer lauter und dröhnte in der Röhre,
während die Lichtkegel der Scheinwerfer die Dunkelheit durchstießen. Der
Hund lief nach Hundeart dem Auto bellend voraus, weil dieses aber schneller
war als er, ließ er sich, ungern zwar, links überholen und rannte ihm
zunächst, immer laut bellend, hinterher, bis zur Erschöpfung. Er hielt dann
hechelnd inne und mit der Entfernung vom Auto griff immer mehr die
Dunkelheit um sich, bis es ganz dunkel war, alles schwarz, er konnte nichts
mehr sehen, sich selber auch nicht, weil sein Fell auch schwarz war. Er
schloß die Augen und öffnete sie wieder, und weil sowohl so als auch so
immer alles nur schwarz war, kroch allmählich Angst und Bangen und
schließlich das blanke Entsetzen in ihm hoch.
Wir Menschen würden in einer solchen Situation versuchen, vom Licht der Vernunft Gebrauch zu machen und
überlegen, was zu tun sei. Tiere haben diese Möglichkeit nicht, sie brauchen
sie normalerweise auch nicht, denn sie können sich immer auf ihren Instinkt
verlassen, der ihnen sicher sagt, was sie sollen. - Mit einer Ausnahme. Wie
ein Computer kann der Instinkt nur Auskunft geben in Fällen, wofür er
programmiert ist. Tunnels waren aber im Instinkt unseres Hundes nicht
vorgesehen, weil es damals, als die Natur die Hundeinstinkte programmierte,
noch keine Tunnels gab. - Das ist so ähnlich wie mit der Spinne in der
Badewanne, die ich jeden Tag wieder retten muß, weil ihr Instinkt ihr nicht
sagt, daß sie aus einer Badewanne nicht aus eigener Kraft herauskommen
kann.
Ein Tier,dem sein Instinkt nicht mehr helfen kann erlebt Grausames: die absolute
Hilflosigkeit. Unser Hund erlebt „schwarz“ nicht nur als Lichtlosigkeit, es
zieht auch in seiner Seele ein und heißt: Hoffnungslosigkeit. Das Schwarz,
das die Augen feststellen, kann samtig warm sein, wie ein Hundefell oder
kalt und hart wie ein lackiertes Auto, das will sagen, schwarz als Farbe hat
immer noch einen gewissen Charakter, das schwarz in der Seele ist das
absolute Nichts, kein Nicht-Sein, sondern gar nichts.
Immerhin hatte unser Hund noch seine Nase. Die sagte ihm, daß entlang einer bestimmten Linie der Geruch
nach Öl und Benzin etwas stärker war als daneben, und wenn er sich auf
dieser Linie bewegte, stieß er nicht dauernd irgendwo an. Er lief dieser
Linie entlang, wußte aber nicht mehr, wo vorne und wo hinten war, zweifelte
an der richtigen Richtung, rannte schließlich hin und her, immer sinnloser,
seine Kräfte verließen ihn, seine Phantasie erschreckte ihn mit
abscheulichen Trugbildern, die er aber nicht sehen konnte, weil sie auch
schwarz waren. Nicht schwarz wie ein Maulwurf, sondern wie das bodenlose
Nichts. Schließlich verließen ihn seine Sinne.
Viele Künstler haben sich seither mit dieser Geschichte befaßt; die einen interessierte mehr das
traurige Schicksal des Hundes, die anderen die Beschäftigung mit dem
absoluten Nichts. Das Ergebnis war ziemlich immer das selbe: Erstere
zeichneten einen mehr oder weniger schönen Hund, malten oder zeichneten ihn
schwarz an, und dann drumherum, völlig schwarz den Tunnel, bis schließlich
alles schwarz und vom Hund nichts mehr zu sehen war. Die anderen, die sich
mit dem absoluten Nichts beschäftigten wollten, hatten es leichter: Sie
malten alles schwarz und nannten es „schwarz-monochrom“ oder so
ähnlich.
Schwarz ist keine Farbe, sondern das Fehlen von Licht, und wo kein Licht ist, gibt es keine Farbe,
das habe ich in der Schule gelernt. Weiß ist auch keine Farbe, sondern der
Grund, worauf die Farben erst leuchten und wirken können, erst durch
Brechung des Lichts im Regenbogen oder sonstwo erscheinen die Grundfarben
Rot, Gelb und Blau und die dazugehörigen Komplementärfarben Orange, Grün und
Violett und aus diesen läßt sich die ganze unendliche Vielfalt der Farben
mischen. Wenn man vom Mischen aber wenig Ahnung hat, kann leicht sein, daß
man statt leuchtender Farbe einen Dreckston erhält, mit der Tendenz zum
Schwarz hin. Schwarz und Weiß sind so unlebendig, daß man sie, je nach
Kontinent und Kultur gerne als Farbe von Trauerzeremonien
hernimmt.
Weiß habe ich noch nie leiden können. Als Kind habe ich einmal auf der Lechhauser Kirchweih wie am Spieß
gebrüllt, weil auf einem Karussellpferd ein blondes Mädchen in einem ganz
weißen Kleid saß. Ich weiß noch genau, daß ich eine richtige Wut auf dieses
Weiß hatte, weil ich es für verlogen hielt. An mir war doch immer alles bald
dreckig. Schwarz schmutzt nicht ganz so, es verträgt auch einen Schimmer
Braun oder Grün und kann dann sogar lebendig und warm wirken wie zum
Beispiel ein Hundefell, Weiß hingegen bleibt immer kalt, bei jeder
Zumischung einer anderen Farbe ist es eben nicht mehr Weiß. Wie herrlich
vielfältig, lebendig ist dagegen die Palette des Malers mit dreierlei Rot,
fünferlei Blau viererlei Gelb und den vielen grünen, braunen und lila
Zwischentönen. Mich verwundert nicht, daß ich ein Maler geworden bin. Und
ohne unserem schwarzen Hund nähertreten oder gar ihn kränken zu wollen, muß
ich sagen: Ich wäre schon lieber ein bunter Hund geworden als ein
schwarzer.
Wenn ich ein Bild malen will, fange ich üblicherweise mit Bleistiftzkizzen an, anhand derer ich mir
allmählich Klarheit darüber verschaffen kann, was ich will. Manche dieser
Skizzen, auch solche die nicht zur malerischen Ausführung kommen, haben doch
Qualität und bieten sich zur graphischen Gestaltung an. Dieser Ansicht war
auch Florian und er drang mit seiner unwiderstehlichen Freundlichkeit in
mich, bis ich nachgab und mich bereit erklärte, einige Radierungen
herzustellen, aber keine bloßen Strichradierungen, sondern mit Einbeziehung
der Aquatintatechnik.
Wo diese Bezeichnungen herkommen, weiß ich nicht. Eine Radierung hat mit dem, was man üblicherweise
radieren nennt, gar nichts zu tun, und Aquatinta weder mit Wasser noch mit
Tinte. Ich wollte Ihnen eigentlich über die Techniken einiges sagen, aber
das hat nicht viel Sinn, das läßt sich nicht kurz erzählen, es wäre viel zu
umständlich und wohl auch unverständlich, und man macht sich die Hände damit
schmutzig. Also in Kürze: Beim Radieren wird eine Strichzeichnung in eine
Metallplatte eingeätzt, die eingeätzten Linien werden mit Druckerschwärze
gefüllt und mit Hilfe einer Druckpresse auf Papier übertragen. Aquatinta
bereichert die Möglichkeiten der Strichtechnik, indem sie in einem
allerdings schwierigen Verfahren auch ganze Flächen in verschiedener
Intensität in die Metallplatte einätzen kann.
Die Technik ist sehr schwierig und verlangt viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl und bringt üble Gerüche
und schwarze Hände mit sich. Florian übernahm es, sich diese Technik
beizubringen, und nach vielen Fehlschlägen beherrschte er sie. Für mich
blieb das Zeichnen und alles sonst, was man mit einigermaßen sauberen Händen
tun konnte. Aquatinta ist eine ziemlich späte Erfindung, Rembrandt kannte sie
noch nicht, er mußte alles mühsam stricheln, Goya wußte zwar, daß es so
etwas gibt, aber nur ungefähr, er hatte sich mühsam die Technik angeeignet
und erreichte darin schließlich große Meisterschaft. Die Technik seiner
Caprichos und seinen Stierkampfzyklus nahmen wir uns zum
Vorbild.
Mit Aquatinta zu arbeiten bringt viele Überraschungen, weil sich die Wirkung der verschiedenen
Arbeitsgänge nicht genau vorhersehen läßt. Man lernt die eigenartige
Schönheit des tiefen, geheimnisvollen Schwarz und der Grautöne schätzen und
lieben, sie sind wirklich schöner als Grautöne und Schattierungen durch
Strich-an-Strich-Zeichnungen, sie sind malerischer, großzügiger. Schöner zum
sehen und eleganter in der Herstellung. Ich bin nie in die Versuchung
gekommen, einen schwarzen Hund im Tunnel darzustellen. Aber wenn schon, dann
nicht durch mühsames Gestrichel, sondern durch eine ganz satt aufgetragene
Aquatinta als Tunnelinneres und keinen schwarzen sondern einen weißen Hund
darin, oder eine Negerin auf dem Zugspitzplatt bei
Neuschnee.
Ich höre jetzt auf, denn mir
scheint, ich bin immer noch ein bisschen wirr im Kopf nach dem langen Urlaub
auf der Intensivstation. |