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Rede von Wolfgang
Lettl zur Präsentation des Siebdruckes "Der Kandidat" am 3. April 2003 Liebe Freunde, ich habe mir ein paar Gedanken über das Thema: "Die Macht und das Schöne" unter Zuhilfenahme der drei ausgestellten Bilder einfallen lassen. Ich beginne mit einem Interpretationsversuch zu dem Bild "Der Kandidat" dessen Präsentation als Siebdruck der Anlass dieser Feier ist. Vier anonyme Männergestalten versuchen einen übergroßen eisernen "Flachkameraden" aufzurichten. Wie der dann stehen bleiben soll, das muss erst noch überlegt werden. Hinten, im Morgenrot, steht ein Mann aus offensichtlich vergangener Zeit und nimmt Abschied von deren Existenz. Die alten patriarchalischen und feudalen Gesellschafts-ordnungen passen und funktionieren nämlich nicht mehr, der technisch-wirtschaftliche Fortschritt und die daraus notwendigerweise folgenden dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen verlangen Anpassung, verlangen ein neues Menschenbild.
dieser Thematik ausgegangen, oder gar, ich hätte anlässlich eines Bundestagswahlkampfes darstellen wollen, wie so ein Kandidat aufgebaut wird und ihm schließlich noch ein medienwirksames Profil und Gesicht einschließlich der passenden dezenten Krawatte anmodelliert werden. Nein, ich will nicht boshaft sein, es wäre auch unangebracht. Schließlich habe ich das Bild schon 1996 gemalt. Mich interessiert ganz anderes. Malerei hat nicht in erster Linie den Zweck, ein Ereignis oder eine Tatsache darzustellen, sie hat, wie die anderen Künste auch, ihren Zweck in sich selber. Da geht es um Komposition und Farbigkeit, um Harmonie und das Spiel der Formen. Zum Beispiel um den Reiz der vielfältigen Gegensätze beim Kandidaten und der Männergruppe: Ein großer - vier kleine, ein starrer - vier lebendige, usw. Dass der Herr aus Napoleons Zeiten im Hintergrund eine wichtige kompositorische Funktion hat, kann man leicht feststellen, indem man ihn einfach zudeckt. Da leuchtet ein, wie sehr er fehlen würde, wenn er nicht da wäre. Auch wir wären nicht wir ohne unsere Vergangenheit. Dass ein Bild auch einen gedanklichen Sinn haben sollte, ist also nicht die Ausgangsabsicht meiner Arbeit, aber meine Erfahrung ist, ohne dass ich das begründen könnte, dass aus einer formalen Stimmigkeit sich letztlich auch eine gedankliche Stimmigkeit ergibt, dass Inhalt und Form sich decken, weil die eine Wahrheit der anderen nicht widersprechen kann. Der Künstler geht halt nicht vom Denken aus, sondern von der Intuition, und in meinem Fremdwörterlexikon steht unter Intuition: "innere Anschauung ohne Hilfe des Verstandes" oder "unmittelbare gefühlsmäßige Erkenntnis des Wesentlichen". Und wenn das zu hochgestochen erscheint: Ebenda lese ich auch unter: "instinktiv" "Einem inneren Triebe folgend". Für meinen Hausgebrauch habe ich es so formuliert: Ich male nicht, weil ich etwas weiß, sondern um etwas zu erfahren, was ich nicht weiß. Doch den alten Malergrundsatz: "Malen ist der Umgang mit Farben" ergänze ich: "aber nicht unbedingt unter Ausschluss des Denkens". Die beiden anderen hier gezeigten Bilder sind die bisher letzten, die ich gemalt habe, deswegen haben sie auch noch keine Namen. Wir haben sie neben den Kandidaten gestellt, weil sie uns nicht nur im Format, sondern auch in der Thematik dazu zu passen scheinen: Es geht immer um Mächte oder Machthaber und um die unverzichtbar dazugehörigen mehr oder weniger kleinen Leute.
Erlauben sie mir eine kleine Abweichung: Ich mag keine Gottesbeweise, weder teleologische noch anselmische, ja ich halte sie für Blasphemie, wenn es sein muss. Gott ist existentieller als wir alle zusammen. Wie kommen wir schlichten Siebengescheitlinge nur auf die sonderbare Idee, Seine Existenz in Frage zu stellen? Und wenn ich trotzdem eines Gottesbeweises bedürfte: Die Möglichkeit des Schönen setzt Gott voraus. Mir genügt das. Also: Auf dem Brückenbogen drängen sich die Menschen. Man kann keinen Sinn dahinter erkennen. Vielleicht streiten sie sich um den besseren Platz oder sie machen sich sonstwie wichtig. Die Männer im Hintergrund nehmen sie nicht zur Kenntnis. Die sind ja eigentlich gar nicht da. Was wir sehen können ist nur der Platz, wo sie wären, wenn sie da wären. Das Mittelalter hatte Darstellungsformen zur Andeutung des Überirdischen: Den Goldgrund, Throne und Kronen, geflügelte Wesen. In unseren Vorstellungen ist im All dafür kein Platz mehr. Wir haben auch kein gültiges Gottesbild mehr. Das ist nicht weiter schlimm, wir sollten uns ohnehin kein Bild von Gott machen. Das Allerheiligste im Tempel war leer. In meinem Bild habe ich einen zugegebenermaßen etwas plumpen Versuch unternommen, das Unfassbare anzudeuten. Ist mir das misslungen? Aber unter uns gesagt: Eigentlich ging es mir nur um ein Experiment: Ich wollte ausprobieren, was herauskommt, wenn ich Gestalten nicht wie sinnvoll und üblich plastisch irgendwo vor den Bildhintergrund stelle, sondern ihre Hohlform dahinter. Es wirkt nicht dämonisch. Eher beruhigend, fast erbaulich. Ist das zu wenig? Das Bild lässt sich auch anders deuten, zeitbezogen und unsere Gegenwart betreffend. Dann sind die gesichtslosen Herren im Hintergrund durchaus existent, nur für uns gewöhnliche Zeitgenossen nicht ohne weiteres greifbar. Sie sind sicher auch nicht nur zwei. Sie sind uns an Macht und Selbstbewusstsein so haushoch überlegen, dass sie sich ohne Skrupel, je nach dem, als Werkzeuge Gottes, der Vorsehung, der Weltgeschichte oder einer sonstigen höheren Autorität verstehen. Sie sehen, ich meine nicht unbedingt nur die aktuellen Ereignisse. Die Sehnsucht nach dem großen Manne oder Helden, sei man´s selber oder ein anderer, dem man gern ein treuer Untertan sein möchte, wurzelt tief in der menschlichen Psyche. Die Untertanen, das sind die Leute auf dem Brückenbogen. In der Diktatur müssen sie jubeln, in der Demokratie dürfen sie demonstrieren.
Hätte ich die nicht weglassen können? Bei der ersten Bleistiftskizze waren noch keine schwarzen Schatten da, die drei Figuren waren auch noch nicht so groß, weil noch keine kleinen da waren zum Vergleich, es war ein belangloses Bildchen ohne Daseinsberechtigung, flach und flau, und weil keine Schatten da waren, war auch kein Licht da. Die drei Figuren an sich waren harmlos und taten niemandem besonders weh. Da kamen die schrecklichen Schatten dazu und erinnerten an all das Verkehrte und Verkorkste, das auch zum Leben gehört, und an das Geheimnis des Bösen, mit dem wir immer wieder konfrontiert werden, spätestens seit Kain. Dabei sind wir doch alle so lieb und friedlich. Aber so kaninchenfriedlich, wie die Gesellschaft am unteren Bildrand uns weismachen will, sind wir gar nicht. Beileibe nicht nur Nächstenliebe und Gerechtigkeitssinn bestimmen unsere Verhaltensweise, sondern ebenso auch Neid und Arroganz. Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist stimmt offensichtlich immer noch weitgehend, und dass Macht korrumpiert auch, und nicht nur die Macht der Großen sondern auch die so mancher kleinen und kleinsten Machthäberlein. In meinem Fremdwörterlexikon - ich muss da immer wieder nachschlagen um nichts falsch zu sagen - steht unter korrumpieren: verderben, verführen, bestechen und unter korrupt: verdorben, käuflich und wurmstichig. Wie nur der Wurm da hineingekommen ist? Jetzt höre ich auf. Mich mit den Höhen und Untiefen der Alltagspolitik zu befassen ist nicht mein Metier. Ich stehe nicht darüber, habe keine Noten zu verteilen und will niemanden über die Maßen verdächtigen. Vielleicht ist es mir gelungen, Ihnen mit dieser kurzen Rede einen Einblick in meine Denkvorstellungen zu geben und den Zugang zum Verständnis meiner Bilderwelt zu erleichtern. Wie auf der Einladung zu dieser Veranstaltung angekündigt stehe ich gern zu weiteren Gesprächen zur Verfügung. Ich danke Ihnen für´s Zuhören |